Handwerker zählten Bovenschulte wegen Ausbildungsabgabe an
Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD) fiel der „Unglauben“ regelrecht aus dem Gesicht. Beim ersten Wahlgipfel in der Handwerkskammer wollte er Handwerker mit dem Hinweis auf eine Prämie von 2.500 Euro pro Lehrling für die vom rot-grün-roten Senat geplante Ausbildungsabgabe locken – doch zwei Handwerker entgegneten cool: „Was sollen wir mit dem Geld, wenn es nicht genügend ausbildungsfähige Jugendliche gibt?“ Auf die konkrete Frage, „Muss ich die Abgabe auch zahlen, wenn ich gar keinen Azubi finde?“ erntete Herbert Dohrmann, Obermeister der Bremer Fleischer-Innung, bloß einen leeren Blick des Bürgermeisters. Frank Imhoff schlug sich eindeutig auf die Seite der Handwerker.
Liebe Leserinnen und Leser, Sie merken (mal wieder), nicht alles, was in Zeitungen steht, muss auch zutreffen. In Bremens einziger Tageszeitung lautete das Fazit der Diskussionsveranstaltung in der Handwerkskammer: „Ein paar Punkte für den Bürgermeister. Wirkungstreffer gegen Imhoff.“ „Butenunbinnen“ traf es aus meiner Sicht – und der anderer Diskussions-Besucher – neutraler: „Abtastend, aber profilbildend“ sei das erste öffentliche Aufeinandertreffen der beiden Spitzenkandidaten Andreas Bovenschulte (SPD) und Frank Imhoff (CDU) gewesen.
Andreas Bovenschulte wirkte auf mich wie ein sedierter Bär im Käfig – seinem Schicksal treu ergeben. Er war (viel zu) zurückhaltend, nahezu emotionslos. Er hatte erwartungsgemäß (fast alle) Fakten parat. Trug die aber weder überzeugend noch mit Leidenschaft vor. Bovenschulte machte an diesem Donnerstagabend den Eindruck, als habe er Angst, etwas Falsches zu tun oder zu sagen. Eine Haltung, die ihm auch ab und zu im Senat nachgesagt wird. Bei den Handwerkern hätte er vermutlich besser punkten können, wenn er seine innere Bremse (meine Koalition existiert bloß wegen der Duldung durch Grüne und Linke) gelöst hätte. Und Mängel in der Senatspolitik offen bekannt hätte.
Die Rolle des freundlich, selbstbewussten Herausforders übernahm Frank Imhoff nur zu gerne – zwar frisch, aber (noch?) mit gebremsten Schaum. Er kann Bovenschulte nach der Papierform (Landwirt und Parlamentspräsident gegen Jurist und Erfahrung als Regierungschef) nicht das Wasser reichen. Aber Imhoff griff zielsicher ein den Handwerkern regelrecht lichterloh unter den Nägeln brennendes Thema auf: Bildung. Jährlich 600 Jugendliche, die das Schulsystem ohne Abschluss entlasse, seien ein Skandal. Beifall. Bremen müsse endlich ein verpflichtendes Vorschuljahr einführen, damit alle Kinder nach Erlernen der deutschen Sprache in der ersten Klasse gemeinsam an einer Startlinie loslaufen können. Beifall. Schulabgänger müssen am Ende rechnen, schreiben und lesen können. Und den Dreisatz müssen sie zwingend draufhaben. Dies benötigt man in der Ausbildung. Beifall. Bremen braucht mehr Gewerbegebiete, damit Unternehmen hier her kommen oder bleiben und nicht nach Niedersachsen ausweichen. Beifall. Klares Nein zur Ausbildungsabgabe. Beifall.
Andreas Bovenschulte war bei den Themen meist in der Defensive. Zur Bildung: „Wir haben umgesteuert.“ Geld für die Bildung, Digitalisierung, Inklussion. Seiteneinsteiger, da es nicht genügend Lehrer gibt. Schweigen. Bremen ist ein attraktiver, starker Wirtschaftsstandort. Schweigen. Ein gemeinsames Gewerbegebiet mit Niedersachsen sei an der CDU im Achimer Stadtrat gescheitert. Schweigen. Die CDU habe ein neues Wohngebiet auf der Galopprennbahn verhindert. Schweigen. Ja, und dann die Ausbildungsabgabe.
Da versuchte der Bürgermeister, sich beim Fachpublikum etwas einzuschmeicheln. Und landete im Abseits. Das Handwerk bilde im Gegensatz zu großen Firmen überproportional aus. Dank dafür! Handwerker würden von der Abgabe profitieren, weil sie doch bloß 0,3 Prozent der Bruttolohnsumme einzahlten, pro Lehrling jedoch 2.500 Euro rausbekämen. Statt Lob erntete Bovenschulte harsche Kritik.
Handwerker wie Fleischer-Obermeister Herbert Dohrmann oder Sanitär-Experte Kai Schulz machten Bovenschulte Dampf: Der Senat müsse erreichen, dass die Jugendlichen überhaupt „ausbildungsreif“ seien. Schulz erklärte: „Ich will keine 2.500 Euro. Ich will Jugendliche, die so fit sind, dass sie die schulischen Zwischenprüfungen schaffen. Dafür würde ich sogar Geld geben.“
Der Meister für Sanitär, Klima, Heizung zeigte sich nach der Veranstaltung geradezu fassungslos: „Die Politik hat mit keinem von uns – Kammer, Innungen, einzelnen Handwerkern – gesprochen, bevor die sich die Abgabe ausgedacht haben. So kann man das doch nicht machen.“
Ein anderer berichtete: Jugendliche Azubis, die nach dem Schulabschluss immer noch nicht richtig Deutsch können, lassen in der Berufsschule das Übersetzungsprogramm auf dem Handy laufen, damit sie kapieren, worum es geht.“ Man könne die Ausbildung, von ihm aus auch die Prüfungen in Englisch abhalten. „Aber, 90 Prozent der Kunden sprechen Deutsch. Und auf die Kunden kommt es an.“
Zurück zur Veranstaltung der Handwerkskammer. Alle Teilnehmer m/w waren sich einig, dass der Facharbeitermangel ein zentrales Problem ist. Auf dem bereits in der Grundschule beginnenden Bildungsweg setzt Bovenschulte auf das „Umsteuern“ im Schulressort. Imhoff will Grundsätzliches ändern. Das sollte er jedoch genauer benennen.
Tipp für künftige Veranstaltungen zur Bildungs-/Ausbildungspolitik: Hamburgs Schulsenator Ties Rabe könnte wertvolle Hinweise geben. Der Mann ist übrigens Sozialdemokrat.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
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