9-Cent-Pacht und 180.000 Euro für Alternativ-Kunst / Was wohl Bremens Geberländer denken?

17.01.2023 Aus Von Axel Schuller

Bremens Fläche als Bundesland (mit dem Recht, Steuern festzusetzen) ist begrenzt. So sehr, dass sich das Mini-Land wünscht, mit dem benachbarten (niedersächsischen) Achim ein gemeinsames Gewerbegebiet auszuweisen. Bremen ist arm. So sehr, dass der SPIEGEL 2011 von den „Griechen an der Weser“ schrieb. Bayern und Hessen erwägen – mal wieder – eine Klage gegen den Länderfinanzausgleich. Just in dieser Situation verpachtet Bremen eine gut erschlossene Gewerbefläche von rund 7.000 Quadratmeter Größe – mit Autobahn- und Straßenbahn-Anschluss – für jährlich netto 565,56 Euro an eine alternative Kulturinitiative.

Das müssen die drei Geberländer des Finanzausgleichs – Bayern, Baden-Württemberg und Hessen – nicht zwingend verstehen… Bausenatorin Maike Schaefer (Grüne) bejubelte die Grundstücks-Vergabe an das Projekt „Irgendwo“ der Initiative „Kulturbeutel“ aus vollem Herzen: „Mir ist wichtig, die Subkultur zu unterstützen. Denn solche Angebote machen Bremen attraktiver für junge, kreative Menschen.“ Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) sekundierte: „Die Lösung zeigt, dass sich kulturelle und wirtschaftliche Interessen gut ergänzen.“

Na, dann ist ja alles fein. Oder, vielleicht doch nicht?

Noch ein Satz zu der von Rot-Grün-Rot stets gepriesenen Transparenz des eigenen Handels: In der Presseerklärung zur Einigung mit dem „Kulturbeutel“ vom 20.12.2022 ist weder etwas über den grandiosen Pachtzins noch über frühere Klagen von Anwohnern über Lärmbelästigungen durch schier endlose Konzerte zu lesen. Haben die Pressestellen der beteiligten Senatsressorts bestimmt bloß vergessen…

Das Projekt „Irgendwo“ des “Kulturbeutel” ist seit der Inbesitznahme des Grundstücks im Gewerbegebiet Airport-Stadt in der Amelie-Beese-Straße immer wieder jährlich neu geduldet worden. Jetzt hat der Senat – nach aufwändiger, teurer, juristischer Beratung, -zig Seiten langer Senatsvorlage, Vertragsausarbeitung durch die städtische Gesellschaft „Immobilien Bremen“ – einen unbefristeten Vertrag mit den jungen Leuten geschlossen. Und zwar zu dem sagenhaften Pachtpreis von 9 Cent/qm – übrigens nur für die direkt genutzte Fläche von 6.284 qm.

Wetten, dass man sich darob in den LFA-Geberländern die Äuglein reibt – sofern man dessen gewahr wird. Sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, jetzt noch nicht unter Schnappatmung leiden, lesen Sie bitte weiter. Es kommt – versprochen – noch dicker.

Studiert man den Pachtvertrag, bleibt nur ein Trost: Der Senat kann das unbefristete Werk kündigen, sofern die Kultur-Aktivisten es nicht schaffen, mindestens 15 Veranstaltungen pro Jahr auf die „Bühne“ zu bringen. FÜNFZEHN pro Jahr. Rechnet man die open-air-Saison von Mai bis Oktober, dann sind dies sechs Monate. Da sind 15 Veranstaltungen wahrlich nix Besonderes. Erstmögliche reguläre Kündigung des Vertrages durch beide Seite: nach zehn Jahren.

Zusätzlich zu dem für-fast-nix-vermieteten Grundstück in der Amelie-Beese-Straße kriegt der “Kulturbeutel” – jetzt wird’s fürs normaldenkende Menschen vermutlich unfassbar – jährlich 180.000 Euro, um etwas auf die Freiluft-Bühnen am Flughafen zu zaubern. Die bisherige projektbezogene Förderung wurde in eine generelle (vornehm: institutionelle) umgewandelt. SPD, Grüne und Linke stimmten dafür, die CDU enthielt sich in der entsprechenden Kulturdeputations-Sitzung. Immerhin haben Union und FDP die Grundstücksvergabe gerügt.

Liebe Leserinnen und Leser, ich habe nichts gegen Kultur; auch nicht gegen alternative.

Aber: Bremen befindet sich – wenn ich freundlichst erinnern dürfte – auf dem vorgezeichneten Weg, erneut zu einem Haushalts-Notlageland zu werden. Die Verschuldung des kleinsten Bundeslandes entwickelt sich Richtung 25 Milliarden Euro. In Ziffern: 25.000.000.000 – bei einem Landesetat von round about 5,5 Milliarden Euro. Im Fall einer Firma würde man sagen: Der Laden ist stehend k.o. . Mit Blick auf andere Kontinente könnte man auch sagen: Bremen ist fast verschuldet wie ein Dritte-Welt-Land.

Und in dieser Situation gehen der Senat und die ihn tragenden Parteien hin und schließen einen unbefristeten Vertrag mit dem „Kulturbeutel“ für eine symbolische Pacht. Ein Verkauf des 6.284 Quadratmeter großen Grundstücks im Airport-Gewerbepark hätte locker mehrere Millionen Euro eingebracht. Nun kassiert Bremen lediglich 565,56 Euro im Jahr. Zusätzlich erhält das Projekt „Nirgendwo“ des Kulturbeutel-Vereins noch 750 Quadratmeter Fläche „pachtzinsfrei“, um sie zu „verwalten“. Diese Zusatz-Fläche darf für Veranstaltungen nicht genutzt werden.

Fazit: Die insgesamt 7.034 Quadratmeter sind für Firmen zehn Jahre lang blockiert.

Mein erster kurzer Hinweis auf die Kulturbeutel-„Nummer“ („Unverantwortlicher Geld-Hau-Raus-Senat…“ vom 21.12.2022) veranlasste einige in der Landesregierung zu Widerspruch. Sie versuchten mir weiszumachen: Die Verpachtung sei eigentlich sogar clever. Denn insgeheim sei das Grundstück ja für Gemeinschafts-Aktivitäten von Airbus und OHB vorgesehen. Die benötigten dies aber frühestens in zehn Jahren. Zwischenzeitlich könnten das doch die jungen Kulturschaffenden ruhig nutzen.

Erstens: Ich bin gespannt, ob sich junge Leute im Fall eines Pacht-Endes zugunsten von Raumfahrt-Unternehmen an den Bühnen festkleben oder mal eben einen Tunnel unter dem Gelände graben werden – ist aktuell ja sehr angesagt.

Zweitens: Die Aussage – clevere Zwischennutzung – klingt wenig überzeugend. Grund: Ich habe die zugrunde liegenden Senatsunterlagen durchforstet.

Darin heißt es: Die für Gewerbegebiete zuständige Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) überschreibt die Zuständigkeit für die Bewirtschaftung des neuen Kulturgeländes Bausenatorin Maike Schaefer (Grüne). Wozu, wenn’s nicht dauerhaft sein soll? Und, wenn schon, wäre doch wohl eher Kultursenator Andreas Bovenschulte (SPD) zuständig gewesen.

Der Senat hat außerdem die beiden Senatorinnen per Beschluss verpflichtet, eine Ausgleichs-Gewerbe-Fläche von einem Hektar auszuweisen. Weshalb? Wenn die rund 7.000 Quadratmeter an der Amelie-Beese-Straße doch angeblich nur vorübergehend an die „Alternativos“ gehen soll – wozu dann eine Ersatzfläche? Alles sehr merkwürdig…

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Bevor Sie, liebe Leserinnen und Leser, (wie ich) nachschauen, wer denn diese Amelie Beese (1886-1925) war. Sie flog leidenschaftlich gern und war die erste Frau in Deutschland, die einen Privatpilotenschein erwarb. Klar, dass man ihrer im Gewerbegebiet Airport-Stadt gedenkt.

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