Was soll bloß ein Mensch von Bremen denken, der sich vor seinem Umzug informiert?

02.09.2023 0 Von Axel Schuller

Lesestoff zum Wochenende. Stellen Sie sich mal vor: Sie wohnen irgendwo, und eine der vielen tollen Bremer Firmen möchte Sie unbedingt anheuern. Um sich über die Stadt zu informieren, gehen Sie ins Internet. Da finden Sie Wunderbares: Bremen ist eine (botanisch gesehen) überaus grüne Großstadt. Werder spielt in der Bundesliga. 40 Millionen Menschen besuchen jährlich die Hansestadt, um hier einzukaufen, Helene Fischer zu sehen oder die Stadt als Touristen zu erkunden. Da denken Sie: So viele Menschen können sich nicht irren. Alles paletti? Nee, denn bevor Sie Ihren Umzug in Erwägung ziehen, schauen Sie natürlich auch mal in die Lokal-Zeitung. Das kann Ihnen die Lust verderben. Die Stadt ist zwar wunderschön, scheint aber auch runter-gerockt zu sein. 

In dem e-Paper des Blattes lesen Sie (wie es dessen Aufgabe ist) – beispielsweise in einer einzigen Ausgabe (31.8.23): In der Bildung liegt Bremen erneut auf dem letzten Platz; Anwohner empfinden ihren City-nahen Stadtteil als rechtsfreien Raum; fünf (u.a. albanisch stämmige) Jugendliche überfallen eine 64-Jährige am helllichten Tag in der Straßenbahn. 

Da geraten Sie als denkbarer Umzugsaspirant m/w, der Kinder hat und mal haben möchte, vermutlich ins Grübeln. Ins Elend wollten Sie ja nun doch nicht umsiedeln. Falls Ihnen Ihre Wunschfirma dann auch noch anbietet, schon mal zum Vorab-Kennenlernen über ein Wochenende mit der DB anzureisen, kriegen Sie spätestens am Bremer Hauptbahnhof den Garaus. Süchtige aller Art, aggressive Bettler, müssen als erstes überwunden werden.

Ja, liebe Leserinnen und Leser, klingt furchtbar negativ. Wir abgehärteten Langzeit-Bewohner kennen die ganze Malaise dieser trotzdem weiter schönen Stadt. Aber versetzen Sie sich mal in die Lage von möglichen Neusiedlern

Genug des Jammerns. Nützt ja nix, wie Eingeborene zu formulieren pflegen.

Wir haben eine neue Regierung. Die geht die Probleme jetzt bestimmt kraftvoll an. Sagt sie. Die Bildungssenatorin jedenfalls stellte jüngst fest: „Wir haben noch viel zu tun“ – und keiner mochte ihr widersprechen…

Bildung: Ich lebe seit 44 Jahren in Bremen. Die Bildung ist seit -zig Jahren ein Problem. Dauerndes Herumexperimentieren. Das Kindergartenangebot war auch Mitte der 80er schon mau. In den Schulen waren die Klassen größer, aber es ging. Die Gruppe der Menschen “mit Migrations-Hintergrund”, war noch übersichtlich. Heute gibt es Schulen, in denen 95 Prozent der Erstklässler kein Deutsch können. Weil zu Hause alles, aber nicht Deutsch gesprochen wird.

Bremen hat in den vergangenen vier Jahren 2.999 Krippen- und Kitaplätze geschaffen. Und dennoch gibt es aktuell weiterhin 1.330 unversorgte Kinder. Die Zahl der Jüngsten nimmt überproportional zu. In den vergangenen zehn Jahren hat die stadtbremische Bevölkerung um 3,3 Prozent zugelegt, die der Kinder unter 6 Jahren um sagenhafte 25 Prozent. Dies liegt auch an dem Zuzug von Flüchtlingen und erfreulicherweise an der allmählich wachsenden Kinderzahl klassischer Mittelstandsfamilien, beispielsweise in der Überseestadt.

Genug der Statistik. Ich flehe die bremischen Politiker m/w an: Kratzen Sie bitte alle Mittel zusammen, und investieren Sie die Millionen in die Kinder. 

Holen Sie sich in Hamburg (im Bildungsranking von Platz 14 auf 4 gestiegen!) endlich Rat, wie die das machen.

Führen Sie ein verpflichtendes Vorschuljahr (bitte kein Kindergarten-Brückenjahr) für alle Kinder ein. Da wird dann zunächst die deutsche Sprache gelernt. Übrigens nicht nur von Mehmet und Esra, sondern auch von Kevin und Jasmin. In Holland gibt es ab dem vierten Lebensjahr eine Schulpflicht. Die werden wissen weshalb!

Wer an der Bildung spart, versündigt sich nicht nur an den betroffenen Kindern, sondern auch an der Gesellschaft

Die Inklusion von geistig- sozial-behinderten Kindern kann nur dort angeboten werden, wo es ausreichend Personal dafür gibt. Ansonsten erfüllen Förderschulen die Aufgaben vermutlich sogar besser. Da kann die UN noch so lange das „Menschenrecht auf Inklusion“ per Beschlüssen herbeiwünschen. Noch gibt es meines Wissens keine Zwangsausbildung zum Sonder-Soz. Päd.

Das gleiche gilt übrigens auch für die UN-Forderung, Behindertenwerkstätten seien aufzulösen und die Betroffenen im “ersten” (bekanntlich leistungsorientierten) Arbeitsmarkt zu integrieren. Das hat mit der Lebenswirklichkeit so viel zu tun wie Sauerbraten mit Astronautenkost.

Der, sorry, bremische Blödsinn, jahrelang keine Noten zu geben und jedermensch vor dem Sitzenbleiben zu bewahren, verstärkt die Tendenz, dass Leistung offenbar nix mehr zählt. Kinder wollen sich jedoch – auch heute noch – miteinander messen, wollen wissen, wer Sieger und wer auf den folgenden Plätzen ist. Dieses hyperpädagogische Getue, man dürfe Kinder durch Sportfeste/Platzierungen nicht traumatisieren, ist kaum noch erträglich.

Geld für die Bildung: Woher? Wir benötigen nicht alle paar Jahre die neuesten Straßenbahnen (die dann auch noch 10 Tonnen schwerer sind und Hauswände kaputt-rumpeln). Selbst im reichen Zürich fahren ältere Bahnen als bei uns. Ein Stadtmusikantenhaus wäre zwar schön, ist aber mit allein 23 Millionen Euro Miete aktuell zu teuer. Wir brauchen kein Parlament mit 87 Abgeordneten. 51 wie im Saarland reichen. Wir brauchen keine Vermehrung der Staatsratsposten inklusive aller Folgekosten. Es ist einfach nur noch ätzend, wie in diesem Mini-Land mit dem Geld an den falschen Stellen herumgeaast wird.

Nächster Horror: Rechtsfreie Räume, Überfälle am helllichten Tag in der Straßenbahn: Wie lange will die Politik diese unhaltbaren Zustände noch treiben lassen? Bis auch wir AfD-Werte wie in den Ost-Ländern haben? Wir brauchen rasch einen ausreichenden, notfalls zupackenden Ordnungsdienst – auch in den Bahnen.

Kommen wir zurück zu unserem fiktiven Stellenbewerber. Solange die Politik nicht sofort spürbar gegen die Missstände vorgeht, können wir die für Bremen existenziell wichtigen Fachkräfte und Handarbeiter bloß gewinnen, wenn es gelingt, diese vor ihrem Umzug an die Weser “n büschen” zu blenden. Mit der Schönheit der Stadt, dem guten Leben, mit viel Grün, mit dem Reiz des Flusses und des Blocklandes, mit der Kultur, der Leichtigkeit des Seins (wenn man es sich leisten kann), auch mit oft vorzüglich funktionierenden Nachbarschaften usw. 

Den Rest, liebe Leserinnen und Leser, ergänzen Sie bitte bis zur nächsten Blogstunde 🙂 .

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Zum Schluss noch etwas Aufbauendes. Schauen Sie sich bitte den Film über den Bundeswettbewerb „Jugend forscht“ an (hat 2023 in Bremen stattgefunden). Macht wieder Mut und fördert die „good vibrations“, auch von uns Langzeit-Insassen, äh, Bewohnern. Hier sehen Sie das Video.