Eine lebendige Demokratie braucht mehr als diese Art von Weser-Kurier

13.11.2023 21 Von Axel Schuller

Heute mal „verkehrt“ herum. Erst das Ende, dann der Anfang: Bitte beachten Sie (unbedingt) das P.S.! Ihre Meinung ist mir wichtig. Apropos „verkehrt“: Wie tickt unsere Stadt inzwischen bloß, dass die rot-grün-rote Koalition einerseits die FreiKarte für alle Landeskinder bis 18 Jahre für 18,7 Millionen Euro um zwei Jahre verlängert, andererseits aber an allen Ecken und Enden Geld für Zukunftsinvestitionen fehlt. So muss beispielsweise der Hochschul- und Forschungsetat um 20,7 Millionen Euro gekürzt werden. Mindestens genauso erschütternd: Wie schwach der Weser-Kurier darüber bzw. gar nicht berichtet. Wo soll das bloß noch enden?

Bürgerschaft segnet neue Freikarte für Kinder ab“, teilte der WK in seiner Wochenend-Ausgabe mit. In der Meldung hieß es, der Haushalts- und Finanzausschuss (HaFa) habe diesem Senatsvorhaben zugestimmt. Obwohl im HaFa vermutlich überwiegend Zahlen-Erotiker sitzen, enthielt der Text keine Hinweise auf die Kosten. Seltsam bis verräterisch! Hatte da etwa der Senat und nicht der zuständige parlamentarische HaFa die Nachricht in die Öffentlichkeit getragen? Dem könnte wohl so gewesen sein. Der regierungsamtliche Pressedienst wollte natürlich nur eines: glänzen. Angaben über Kosten können da schon mal stören

Aber: Ist es Aufgabe einer Zeitung, den Senatstext fröhlich unkritisch zu veröffentlichen? Ohne direkten Hinweis auf Kosten und Nutzerzahl? (An die mehrere Wochen zurückliegende Berichterstattung werden sich allenfalls Experten erinnern). Und ohne Erklärung, weshalb das Jungvolk mit der Karte trotz des Corona-Endes über 2023 hinaus beglückt werden soll? 

Die Fakten: Der Senat und die ihn tragende Koalition wollten Kindern und Jugendlichen nach Corona etwas Gutes tun. In der Senatsvorlage heißt es – wie man heute sagt – emphatisch: “Die psychosozialen Belastungen haben unter anderem zu einem Anstieg emotionaler Störungen und psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen geführt, die auch lange Zeit nach der Pandemie noch anhalten werden.” Die FreiKarte könne die Kinder aus der Isolation herausführen, sie bekämen ein Extra-Taschengeld für Sport, Kultur und Freizeit. Werden “psychische Erkrankungen” in Bremen wirklich so therapiert? Mit Rummel- und Kinobesuchen? Und noch ne naive Frage: Hat Corona in Bayern etwa nicht gewütet? Oder brauchen Kinder und Jugendliche dort keine Freizeit-Therapie?

2022 und 2023 nutzten 135.000 Bremer Kinder und Jugendliche die Karten (60 Euro pro Jahr) – dies waren 20.000 Kinder mehr als erwartet. Dafür benötigte der Senat jetzt einen Nachschlag von 3,5 Millionen Euro. Für 2024 und 2025 rechnet die Regierung nun mit bis zu 148.000 Nutzern (wachsende Flüchtlings- und zunehmende Kinderzahl). Der Senat forderte deshalb beim HaFa 18,7 Millionen Euro für Kartenherstellung, Personal in der Senatskanzlei und Kartenguthaben an. Der Senat tröstete sich (und andere?) damit, dass die Gelder ja aus dem (kreditfinanzierten) Topf der Corona-Hilfen entnommen werden.

SPD, Grüne und Linke stimmten dafür. Wenigstens die Opposition von CDU, FDP und BD war geschlossen dagegen.

Im Wissenschaftsausschuss der Bürgerschaft ging es jüngst ums genaue Gegenteil, nämlich um Kürzungen. Die Öffentlichkeit erfuhr davon aus einer Presseerklärung der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Die bemängelte, dass alle Ressorts noch in 2023 70,2 Millionen Euro einsparen müssten. Allein die Wissenschaft solle davon 20,7 Millionen schultern. Der Grüne Finanzsenator Björn Fecker sprang seiner neuen Grünen Wissenschaftssenatorin Kathrin Moosdorf offenbar bei, indem er einen Teil der aufzubringenden Summe (insgesamt rund drei Millionen Euro) trickreich durch Einnahmen aus der Spielbankabgabe “deckte”. Aha.

Und der Weser-Kurier? Der hatte – ich konnte wirklich nirgends etwas finden – darüber bis heute kein Wort verloren. Weder über die Kürzungen im Wissenschaftsetat, noch über die Kritik der Union. Nochmals: Aha.

Mit so einer fast-Monopolzeitung lässt sich’s vermutlich gemütlich regieren!

Ähnliches ließ sich übrigens jüngst auch beim Thema „Verkehrskonzept bei Werder-Heimspielen“ beobachten. Die Redaktion teilte lediglich mit, die Fan-Busse führen nun wieder zu Heimspielen. Punkt. Aus. Kein Hinweis auf heftige Fan-Reaktionen zuvor. Keine ambitionierte Berichterstattung. Einfach nichts. Zum Glück hatten sich erboste Fans massenhaft auf der WK-Leserbriefseite gegen das „nachhaltige Verkehrskonzept“ geäußert. Die Sport- oder Lokalredaktion mochte Werder, der BSAG und der Polizei, welche die Fans einer Rinderherde gleich durch den Deichschart zur Hamburger Straße treiben wollten, offenbar nicht – ja, was eigentlich? Nicht wehtun, oder was?

Es tut mir leid, aber: Diese Art der harm- und zahnlosen Berichterstattung ist insbesondere einer fast-Monopolzeitung unwürdig. Dazu kommt, dass echte Kracher, wie etwa die grandiose Förderung von gleich drei herausragenden Bremer Klima- und Meeresforschern mit einer Mini-Fuzzi-Meldung abgetan wird. Wer um Himmels Willen, verfügt in dem Laden über die notwendige Übersicht?

Die Liste des WK-Dahinplätscher-Journalismus lässt sich leider beliebig verlängern. Ich sage nur: Bla-Bla-Berichterstattung zur Absperrung von 500 Parkplätzen in der Park-Garage Mitte. Da verkniff sich die Redaktion (aus Unwissenheit?) den Hinweis, dass demnächst nicht nur die eine Hälfte der Plätze, sondern dank super-schlauer Planer das komplette Parkhaus verschwinden wird. Schließlich sollen die bösen “Stinker” ja aus der City raus. Dann werden vermutlich einkaufswillige Senioren, die aufs Auto angewiesen sind, endgültig das Weite suchen. Noch so nen Ding: Bei Interviews – beispielsweise mit dem Sparkassenchef – gibt’s keine Nachfrage, wenn der munter behauptet, die gewährten Zinsen seien “wettbewerbsfähig”. Bei 0,x Prozent auf dem gängigen Sparbuch.

Geneigte Leserschaft, hat Bremen diese selbstgefällige Zeitung wirklich verdient? Sie wird ihrer Aufgabe, auch die Regierenden zu kontrollieren, aus meiner Sicht zu selten gerecht. Scheiden irgendwann die Kollegen Joerg-Helge Wagner und Jürgen Theiner aus, kann sich das Blatt gehackt legen – und der Senat völlig unbehelligt regieren, herumwursteln oder was auch immer treiben.

Eine funktionierende Demokratie braucht mehr als dieses Blatt aktuell zu bieten vermag. Ich bin überzeugt: Insgeheim denken auch manche Politiker und Wirtschaftslenker so oder ähnlich…

Munter Bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller 

Und nun das angekündigte P.S.: Bitte nutzen Sie die Kommentarfunktion: Was halten Sie von dieser zugegeben teils harschen Kritik am WK? Sind Sie möglicherweise mit Ihrer Zeitung zufrieden? Möchten Sie solche Beiträge aus Sicht eines Journalisten über den WK lesen – der dem Laden zugegebenermaßen bis vor 25 Jahren (!) einmal selbst angehört hat? Ist das für Sie okay/erkenntnisreich, oder nicht? Ich bitte um ehrliche Rückmeldungen.