Parlaments-Chefin fordert Einsatz für Demokratie, blendet aber das eigene Handeln aus

10.01.2024 4 Von Axel Schuller

Schade, Chance vertan. Statt die eigene Politiker-Kaste aufzurütteln, also eine “Ruck-Rede” zu halten, begnügte sich Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer (SPD) vor 500 Gästen des Neujahrsempfanges erneut mit einem allgemeinen Aufruf – für für die Demokratie zu kämpfen. Hörte sich teilweise wie Polit-Sprech „von der Stange“ an. Welch ein Unterschied zur Rede ihres Vorgängers ein Jahr zuvor. Grotheer hätte besser daran getan, Frank Imhoffs Text ein zweites Mal vorzulesen, statt die Zuhörer mit ihrer durchgängig gegenderten Rede zu traktieren.

Mehrere Besucher empfanden es als unhöflich, als Gäste eines Empfanges geradezu penetrant mit Minderheiten-Slang gequält zu werden. Grotheer durchzog ihren Text mit “Bürger:innen und Landrät:innen”; immerhin verkniff sie sich den gröbsten Sprachunfug von den „Gäst:innen“. Heutzutage ist man sprachlich ja schon für Kleinigkeiten dankbar.

Grotheers Mantra für Demokratie, Zusammenhalt, gegen Populismus ist per se nicht falsch. Bloß, die Sozialdemokratin vergisst stets, handfeste Schlüsse daraus zu ziehen. Auch ihre Analyse, bloß 56,9 Prozent der Bremer hätten die Bürgerschaft gewählt, ist richtig. Aber, warum ist das so? Weil 43,1 Prozent möglicherweise der Meinung sind, dass sie mit dem Wahlkreuz herzlich wenig bewegen können? Weil die Wähler alle vier Jahre an einem einzigen Tag wie wichtige Menschen behandelt werden? Danach ist lange Sendepause. Oder: Weil Politiker über viele Themen (Migration) endlos reden, ohne zu handeln? Oder bevorzugt ihre Strategien und Machtinteressen verfolgen, darüber aber leider zu häufig die Bedürfnisse der Wählerschaft vergessen?

Die von Grotheer analysierte Spaltung der Gesellschaft ist Fakt. Aber: Welchen Schluss zieht Frau Präsidentin daraus? Wie wäre es mal, einen Appell an ihre Politiker-Kaste zu richten, sich endlich intensiv um die drängenden Anliegen und Belange der Bevölkerung zu kümmern? Und nicht zu häufig allgemeine Sonntagsreden für Demokratie und die angeblich wichtigen Wähler zu schwingen.

Grotheer ging gestern sogar so weit, dass sie ihr überbordendes Gendern während ihrer Rede offensiv ansprach: „Um alle Menschen zu repräsentieren,…ist es wichtig, alle, die gemeint sind, auch zu nennen.“ Das hatte schon fast den Stil einer selbsternannten Volkserzieherin.

Läge ihr die Demokratie wirklich so sehr am Herzen, könnte sie – ganz simpel – weiter von „Bürgern und Bürgerinnen“ sprechen. Dies würde dem Wunsch der Bevölkerungsmehrheit entsprechen. Laut einer Forsa-Umfrage für den „Stern“ sind 73 Prozent der Deutschen sowohl gegen Gender-Vorschriften in amtlichen als auch in gesprochenen Texten (wie TV).

Grotheers Aufruf, miteinander zu reden und verbal für die besten Lösungen in der Demokratie zu ringen, erschien gerade von ihr als – sorry – unangemessen.

Wer hat denn dem Fraktionschef von Bündnis Deutschland (BD) das Wort im Landtag entzogen, als Jan Timke (aus ihrer Sicht) nicht zum Thema „Senatswahl“ gesprochen hat? Frau Antje war’s. Und die Bürgerschaftsmehrheit von SPD, CDU, Grünen, Linken und FDP konnte sich bei Grotheers Appell, miteinander um die besten Ergebnisse zu streiten, mal eben an die eigene Nase fassen

Immerhin verhindern die genannten Parteien bislang die Beteiligung der demokratisch gewählten BD-Abgeordneten am Bürgerschaftsvorstand und an den Ausschuss-Vorsitzen

Auf diese Weise stärkt man garantiert nicht die Demokratie-Lust von BD-Wählern, sondern vermittelt den betreffenden Menschen bloß eines: Eure Stimmen zählen für uns nicht, sie sind weniger wert als die anderen.

Dies steigert eher Demokratie-Frust als Lust.

Zur besseren Einordnung: Der Verfassungsschutz hat bis heute keine rechtlichen Bedenken am Tun dieser Partei geäußert. 

By the way: Bündnis Deutschland klagt gegen den Wort-Entzug bekanntlich vor dem Staatsgerichtshof. Die Landtagsverwaltung traut den eigenen Juristen offenbar nicht so richtig viel zu. Immerhin hat die Bürgerschaft Prof. Dr. Tristan Barczak aus dem fernen Passau/Bayern mit der juristischen Vertretung betraut. Bestimmt für kleines Geld.  🙂 Zur Erinnerung: Für den Lohn des Top-Juristen kommen die Steuerzahler, nicht Frau Grotheer auf.

Einige Leser m/w meinen zuweilen, ich solle nicht nur kritisieren, sondern auch mal konstruktive Vorschläge machen. Biddesehr. Hier ein Beispiel, wie man eine Neujahrsrede anders, wie ich finde besser, halten kann.

Frank Imhoff (CDU), im Januar 2023 noch Bürgerschaftspräsident, sagte – ich zitiere – unter anderem:

 „Ist es die Existenzangst der Menschen, die den Nährboden für …Populisten bildet? Ich glaube, meine Damen und Herren, das allein ist es nicht. …Das, was Menschen in Sorge und Verunsicherung und in die Sprechblasen von Populisten treibt, hängt auch damit zusammen, dass sich eine breite Mitte der Gesellschaft – also die Handwerker, die Selbstständigen, die Pflegekräfte, die Alleinerziehenden, die Mütter und Väter, die vielen Angestellten – von sonst niemand ernstgenommen fühlt mit ihren Alltagssorgen.

Dabei steht die Mehrheit der Deutschen hinter den Maßnahmen…, um Krisen zu bewältigen. Sie fühlen sich in den Auswirkungen auf ihr Leben aber nicht gesehen. Denn

• wenn es in öffentlichen Debatten vor allem um Aktivisten geht, die für das Klima Kartoffelbrei auf Kunstgemälde werfen oder die sich auf deutschen Autobahnen festkleben,

• wenn sich Politik und Medien unermüdlich am Sinn und Unsinn des Genderns abarbeiten oder seitenweise das Thema kulturelle Aneignung besprechen,

• wenn über Tampons auf Männertoiletten diskutiert wird…, dann sind das auf Twitter möglicherweise trendige Themen, die … durch die Medien eine scheinbare gesellschaftliche Relevanz erhalten. Und ja, es gibt auch eine Berechtigung, diese Themen… zu diskutieren. Aber: Es hat in den Ausmaßen und in meiner Wahrnehmung nichts, wirklich gar nichts, mit den Alltagssorgen der meisten Menschen zu tun.“

Soweit der Ex-Parlamentspräsident Imhoff.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Radio Bremen ordnete die Relevanz der Präsidentinnen-Rede übrigens wie folgt ein: ein Filmchen von 45 Sekunden im “butenunbinnen”-Nachrichtenblock. Das war’s.