Um den Frieden kümmert sich in Bremen gezielt nur die SPD
Geht es Ihnen auch so: Egal mit wem und wo man ins Gespräch kommt, fallen aktuell fast immer zwei Begriffe: „Ukraine“ und „Scholz“. Über diesen Kanzler – ist schon genug gesagt worden. Über den Krieg in der Ukraine denken nach meiner Beobachtung inzwischen Menschen anders als direkt nach Putins Überfall. Dazu kommen „Aufreger“-Meldungen wie: „Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko übernimmt in Hamburg eine Villa im Wert von 5,5 Millionen Euro.“
Der deutsche Mainstream-Journalismus hält sich noch zurück. Wer auch nur ansatzweise kritische Fragen zur Ukraine stellt, wird umgehend als Putin-Freund diffamiert.
Zugegeben, liebe Leserschaft, „international“ ist nicht meine Kernkompetenz. Aber ich habe einen Kopf zum Denken, und der kann die Kriegsnachrichten kaum noch ertragen. Das Fass zum „Überlaufen“ brachte die Klitschko-Meldung in der Berliner Zeitung und bei t-online.de.
Wenn man im Freundeskreis, bei Empfängen oder auch auf der Straße über die Ukraine spricht, hat fast unmerklich ein Wandel stattgefunden. Noch vor anderthalb Jahren war eine breite Mehrheit überzeugt: Deutschland und Europa müssten sich Putin in der Ukraine entgegenstellen, sonst, marschiere der bis Berlin. Während einige auf eine direkte Beteiligung Deutschlands mit allen verfügbaren Waffen setzten, riet ein anderer Teil der Putin-Gegner, Panzer, Abwehrsysteme und Raketen nie als erstes Land zu liefern. Das war zu Beginn die Scholz-Linie.
Ein kleinerer Teil der Bevölkerung forderte von Beginn an: Statt Waffen zu liefern, sollte Deutschland sein (damals noch vorhandenes) internationales Ansehen und Gewicht nutzen, um die Kriegsgegner an den Verhandlungstisch zu bringen. Schließlich sterben täglich auf beiden Seiten hunderte, wenn nicht auch tausende.
Und: Der Krieg zerstört die Ukraine, so dass irgendwann alles kaputt sein wird.
Mittlerweile höre ich in Bremen auch andere Töne. Selbst in Unternehmerkreisen. Vom erhofften „Sieg der Ukraine“ ist nicht mehr die Rede. Auch weniger vom Zurückdrängen der Russen. Nein, jetzt lautet das Ziel häufiger: Am Ende der Kämpfe darf auf keinen Fall ein „Siegfrieden“ der Russen stehen.
Neu ist auch, dass Menschen im Zusammenhang mit den Zahlungen und Lieferungen an die Ukraine auf „Löcher in unseren Straßen“, mangelhafte Infrastruktur, fehlende Kindergärten und Personalmangel allerorten, inklusive bei der Polizei, hinweisen.
Das Thema Ukraine bewegt in Bremen lediglich eine Partei: Die alte Tante SPD, dort speziell den Arbeitskreis Frieden. Die CDU verfügt über keine derartige Runde. Die Bremer Grünen (früher: „Frieden schaffen ohne Waffen“ – heute offenbar „transformiert“: Frieden schaffen mit Waffen) verfügen in der Hansestadt über keinen Extra-Kreis. Die Arbeitsgruppe „Frieden und Antimilitarismus“ Linken existiert aktuell nur auf dem Papier. Vielfältig aktiv ist das Bremer Friedensforum.
Die Bremer SPD-Friedens-„Aktivisten“ um den Europa-Abgeordneten Joachim Schuster, den Ex-Betriebsrat- und Ex-Abgeordneten Peter Sörgel, den Landesvorsitzenden Reinhold Wetjen und den Bürgerschaftsabgeordneten Arno Gottschalk haben es sogar geschafft, dass der Landesverband Bremen ein Friedenspapier zum SPD-Bundesparteitag im vorigen Dezember eingereicht hatte. Den (und anderer SPD-Verbände) hatte der Bundesvorstand „kassiert“ und in seinen eigenen Antrag eingearbeitet. Entstanden ist ein wahres Konvolut von 22 Seiten. Mit viel Mühe kann man einen Kern erkennen: Es müsse alles daran gesetzt werden, daß bei den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Welt mehr Gewicht auf Verhandlungen als auf die Lieferung von Waffen gelegt werden solle.
Das Papier enthält jedoch keinerlei Forderungen an die Bundesregierung, keine Waffen mehr an die Ukraine zu liefern. Man wollte, hieß es beim Parteitag, „den Olaf“ nicht beschädigen. Der Kanzler ist im Land inzwischen so was von unten durch, dass alle wichtigen Sozis Schiss haben, den „Königsmörder“ zu geben.
Ein Ergebnis: Der Kanzler prüft mittlerweile seit Wochen, ob die bis nach Russland fliegenden Taurus-Raketen nach Kiew geliefert werden können. Als ob ihm auch nur ein denkender Bürger m/w abnehmen würde, dass man dies über einen so langen Zeitraum „prüfen“ könnte.
Dass bei der Unterstützung der Ukraine etwas geschehen muss, ist inzwischen überdeutlich. Die Aufnahme in die EU, die von der EU-Chefin Ursula von der Leyen machtvoll betrieben wird – überzeugt leider überhaupt nicht. Erstmals in der Geschichte des vereinten Europas höre ich mich (selbst überrascht) sagen: Wenigstens Ungarns Victor Orban (noch?) hält noch gegen die EU-Aufnahme des im Krieg befindlichen Landes.
Nicht außer Acht lassen sollte man auch: Polen ist seit der Wahl zwar wieder auf EU-Kurs, aber weiter größtes Nehmerland. Würde die Ukraine mit den größten Ackerflächen Europas aufgenommen, wechselte der Nachbarn vermutlich in den unbeliebten Status eines Geber-Landes.
Und bei aller Euphorie und „Blauäugigkeit der obersten EU-Dame bitte nicht vergessen: Die Ukraine gilt immer noch als hochgradig korruptes Land. Zu-schlechter-letzt: Welchen Nutzen hätte Europa von einer Ukraine, das nach schier endlosem Krieg am Ende wäre?
Willy Brandt würde vermutlich mahnen: Es wird in Europa keinen Frieden gegen, sondern nur mit Russland geben.
Außenministerin Annalena Baerbock fliegt währenddessen durch die Welt und empfiehlt Ländern (egal, ob riesengroß oder klein) ungefragt, was diese zu tun und zu lassen haben.
Längst überfällige Impulse für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sind offenbar „von ihrer Agenda gerutscht“.
Dabei gibt es durchaus praktische Überlegungen, wie man die Befriedung beider Seiten vorantreiben könnte. Dafür müsste Wolodymyr Selenskyj jedoch von der Maximalforderung runterkommen, alle bereits 2014 von Moskau besetzte Gebiete zurückzuerhalten. Denkbar wäre eine Abstimmung der Bevölkerung von Krim und Donbas darüber, ob sie zur Ukraine oder zu Russland gehören wollen – selbstverständlich nur unter intensiver internationaler Aufsicht.
Liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie sich mehr mit der Vorgeschichte des grausamen Krieges in der Ukraine beschäftigen wollen, empfehle ich unter anderem: Programme des Kabarettisten Volker Pispers. Und Bremer Buchautoren wie Dr. Stefan Luft, Dr. Jürgen Wendler, Walter Ruffler, Peter Sörgel etc.
Munter bleiben, bei allem Hadern mit den Zuständen hier und überall!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Ich gelobe: Beim nächsten Mal geht’s wieder um ein rein bremisches Thema. Und ich vermute, von dem haben Sie bislang wenig, wohl eher gar nix gelesen…
Verhandlungen mit Diktatoren waren in der Jahrtausende alten Menschheits-geschichte selten von Erfolg gekrönt. Bei einem expansiven Gewaltherrscher mit
Neo-kolonialistischer Vintage-Ideologie und brutalem Macht- und maximalen materialistischen Gewinnansprüchen
sind diese Chancen gleich Null. Hier bahnt sich eine geopolitische Neuordnung mit militärischer Gewalt an, die auch vor Drittstaaten wie Moldawien, aber auch Nato-Bündnisländern wie den baltischen Staaten, Finnland nicht Halt machen wird.
Neben den von Dir lieber Axel, empfohlenen Büchern seien allen Interessierten zusätzlich folgende empfohlen:
1. Jürgen Roth : Gazprom das unheimliche Imperium
2. Oleg Gordiewsky : KGB
3.Masha Gessen: The Man without a Face
4. Leonid Wolkow ; Putinland
5.Catherine Belton: Putins Netz
6. Timothy Schnyder: Der Weg in die Unfreiheit.
@Dr.Wewerka, Ich habe einige Fragen zu Ihrem Kommentar:
a) Wie denken Sie, dass dieser Krieg zu einem Ende kommen könnte?
b) Denken Sie, dass die Möglichkeit besteht, Russland so zu zermürben, dass es den Rückwärtsgang einlegt und sich freiwillig wieder komplett aus der Ukraine zurückzieht?
c) Sollte das Eintreten dieses Ereignisses sehr unwahrscheinlich sein, mit wem soll die Ukraine über Regelungen zu einem Modus Vivendi verhandeln, wenn nicht Putin?
Freue mich auf Ihre Antworten.
Grüße Hartmut Paul
Ich vermute mal, dass unser Bundeskanzler der Ukraine nur so zögerlich und unzureichend hilft, weil er erpressbar ist. Ich werde einfach den Gedanken nicht los, dass Putin der SPD über einen ehemaligen Kanzler größere Beträge für die Parteikasse hat zukommen lassen. Eigentlich undenkbar, aber manchmal denke ich so.
@Hartmut Paul: die unverzichtbare Grundlage für Verträge ist die beiderseitige Überzeugung und das Vertrauen darauf, diese auch einhalten zu wollen. Wenn sich dann ein Vertragspartner nicht einmal an grundlegende Vereinbarungen des Völkerrechtes und der Genfer Konvention hält ? Zudem dient dieser
Krieg für Dritte (China-Taiwan, Iran+ proxies-Israel,
Türkei-Irak/Syrien/Lybien, Taliban-Pakistan, Islamisten-Sahelzone etc.) als Blaupause für das eigene imperiale Verhalten und deren Erfolgsaussichten. Wie war das mit dem Münchener Abkommen, Hitler-Stalin-Pakt und vielen anderen Abkommen in unserer jüngeren Geschichte? Der o. von mir erwähnte T. Snyder schreibt als Historiker sehr aufschlussreich über Putins quasi religiöse Anspruchsideologie eines neuen russischen Grossreiches.
Hierzu werden alle (!) Register der hybriden Kriegsführung eingesetzt.
Hierzu Ben Hodges et. alii: Future War.
Zweite Verhandlungsvorbedingung ist das Recht auf Selbstbestimmung des ukrainischen Volkes: Sie verteidigen nicht nur ihre Freiheit dort! Und sie haben in freier Wahl sich mit überwältigender Mehrheit für einen freien und demokratischen Staat Ukraine
entschieden. Was ist uns als kollektiver Westen hier Solidarität (übriegens Markenkern einer Partei wie u.a. der SPD!) und das Vertrauen und die Verlässlichkeit darauf wert?
Dritte Vorbedingung ist die (auch militärische) Überwachung und ggfs. Sanktionierungsfähigkeit bei Nicht-Einhaltung von Vertragsgrundlagen.
Laut unserem Verteidigungsminister und vielen ( gerade auch militärischen) Sachverständigen sind wir hierzu nicht einmal annähernd in der Lage.
Hierzu gilt ( man mag das sehr bedauern!) leider die alte strategische Einschätzung eines M.T. Cicero: s.v.p.p.b.
In der alten, ehrwürdigen oberen Rathaushalle steht der römische Rechtsgrundsatz: „Audiatur Et Altera (Pars)“. Dieser wichtige Satz scheint in den letzten Jahren in der bundesdeutschen Medienlandschaft, auch bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Wer sich differenziert zum Ukrainekrieg äußert, wird sofort als Putin-Freund diffamiert, um jede weitere Diskussion zu unterbinden.
Dabei liegt die berechtigte Frage doch auf der Hand: Wie soll das alles enden? Glaubt denn jemand, dass die Ukraine die Atommacht Russland besiegen kann, ohne dass es zu einem Atomkrieg kommt, bei dem wir alle in Westeuropa das Schlachtfeld sein werden? Obwohl jeder weiß, dass auch dieser Krieg mit einem Verhandlungsfrieden enden wird, werden noch tausende Menschen sterben und die Ukraine wird weiter zerstört, wenn es nicht bald zu diplomatischen Initiativen kommt. „Et respice finem“, und bedenke das Ende, auch dieser wichtige römische Satz gilt bei allem, was der Westen mit seinen Waffenlieferungen bewirkt.
Herrn Dr. Wewerka empfehle ich, das letzte Interview mit dem früheren General Harald Kujat vom 22. Dezember 2023 in der Schweizer Zeitschrift (Zeitgeschehen im Fokus) zu lesen. Es ist leider schwer im Internet zu finden. Noch besser ist die Analyse des ehemaligen US Botschafters und stellvertretenden Verteidigungsministers der USA, Charles W Freeman, der ein faktenbasierte Referat im September 2023 gehalten hat. Es ist im Netz (auch schwer) zu finden unter: „Die vielen Lehren aus dem Ukrainekrieg von Chas W. Freeman“. Noch einmal sei es betont: Audiatur et altera pars.
Kriege können auf zwei Wegen beendet werden. Entweder durch eine Verhandlungslösung oder durch den Sieg einer Kriegspartei. Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine ist seit mindestens einem Jahr in einen Abnutzungskrieg übergegangen, in dem mittelfristig keine der beiden Seite nennenswerte militärische Gewinne erwarten kann. Langfristig droht eher eine militärische Niederlage der Ukraine, da Russland als Atommacht noch über erhebliches Eskalationspotential verfügt. Die Frage ist daher, wie in einer solchen Situation ein perspektivloser Krieg beendet werden kann. Da wird an Verhandlungen kein Weg vorbei führen, ob es einem passt oder nicht.
Der erste Schritt einer Verhandlungslösung ist, bei beiden Seiten überhaupt die Bereitschaft dazu zu wecken. Vorbedingungen für Verhandlungen sind in dem aktuellen Krieg perspektivlos. Nur wenn internationaler Druck aufgebaut werden kann, wird es gelingen können, Russland überhaupt an den Verhandlungstisch zu bringen. Das wird dem „Westen“ allein aber nicht gelingen. Dazu wird es notwendig sein, u.a. auch die Initiativen Chinas, Indiens, Brasiliens und vieler afrikanischer Staaten produktiv aufzugreifen und mit diesen Staaten zu kooperieren. Der erste zu erreichende Schritt wäre ein Waffenstillstand, auch wenn keineswegs am Anfang garantiert werden kann, dass daraus eine wirkliche Verhandlungslösung mit Sicherheitsgarantien für beide Seiten entsteht.
Wir brauchen auch heute eine moderne Entspannungspolitik statt einer perspektivlosen militärischen Konfrontation.
@Lieber Manfred Fluß:
Mit Ihrem ersten Abschnitt stimme ich voll überein! Es ist sehr oft beschämend, wenn man (übrigens auf beiden Seiten von Meinungsdipolen) massive Versuche sieht, diesen altrömischen Rechtsgrundsatz gänzlich außer Kraft zu setzen. Demokratie lebt vom offenen Diskurs in gegenseitig wertschätzender Athmosphäre.
Entscheidender Kern eines solchen Diskurses sind Faktengehalt, belegbare Sachverhalte und sehr ernsthafte Bemühungen um deren plausible Zusammenhangs-Einschätzungen.
Dies wird umso schwieriger, wenn diese 3 Kernfaktoren – bereits im Vorfeld- professionellen (mit AI kaum noch zu enttarnbaren) Propagandaverformungen unterzogen werden. Auch dies ist bei Akteuren beider Seiten – gerade bei so geopolitisch entscheidenden Inhalten – leider immer zu finden und muß zudem beachtet werden.
General Harald Kujat hat in seiner langen Dienstzeit bis zum Generalinspekteur der Bundeswehr unter 4 SPD-Verteidigungsministern gedient. Um so erstaunlicher erscheint bei einem solch verdienten Offizier sein Aufsichts-ratsposten des im Jahre 2016 in Berlin von Wladimir Jakunin gegründeten (Einflußreicher russischer Oligarch, anfänglich Maschinenbauingenieur spezialisiert auf die Projektierung und Wartung von ballistischen Raketen mit großer Reichweit, enger langjähriger Freund von W. Putin und nach Einschätzung des Politologen Stefan Meister ist Jakunin innerhalb der russischen Elite einer der „Hauptvertreter eines aggressiven und intoleranten Konservatismus“) Dialogue of Civilizations Research Institute. Es mutet für einen ehemaligen Generalsinspekteur der BW und späteren Vorsitzenden des Militärausschusses der Nato ein wenig ungewöhnlich an, in einem solchen Propagandainstitut als militärischer Sachverständiger und Berater jedenfalls bis zum Beginn des russischen Angriffes auf die Ukraine im Februar 2022 zu fungieren.
Seine strategisch-taktischen Aussagen zum Ukrainekrieg seinen nach Ansicht von:
1. Ex-Nato-General Erhard Bühler :“ Bühler widerspricht Kujat, wenn dieser behauptet, die Ukraine könne den Krieg nicht gewinnen.“
2. Thomas Haldenwang (Präsident des deutschen Verfassungsschutzes) führt dazu aus: „Wer verbreitet, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine unter anderem deshalb führt, weil der Westen mit der NATO-Osterweiterung Russlands Sicherheitsinteressen verletzt habe, verbreite russische «Propaganda» und ein «russisches Narrativ» weiter.
Bei all dem unzähligen durch diesen Angriffskrieg unter Zivilisten und Militärangehörigen ausgelösten beider-seitigem Leid ( wie bei jedem Krieg!) darf ich – als Beitrag zu einem offenen Dialog- auf meinen 2. Kommentar und die dort angegebene Literatur in diesem Zusammenhang verweisen.
Manfred Fluss: Kann ich so unterschreiben!
Der Krieg ist für die Ukraine auch mit NATO-Wunderwaffen nicht mehr zu gewinnen, Respektive sind die Kriegsziele von Herrn Selenskyj mit der Rückgewinnung der Krim und des Donbas unrealistisch. Von ursprünglich 500.000 Soldaten der Ukraine und 1,2 Millionen auf russischer Seite sind nach Schätzungen namhafter Militärexperten auf beiden Seiten jeweils 300.000 Soldaten ausgefallen. Es wird also Zeit, zu verhandeln. Wenn der Krieg weitergeht, gilt das römische „vae victi“! Es sei denn, unsere Ampel mit unserer sendungsbewussten Außenministerin ruft zum Krieg der (Selbst-) Gerechten auf. Vielleicht wäre es schlau, vorab Amtskollegen Pistorius zu befragen, inwieweit unsere Reichswehr gerüstet ist, einen Angriffskrieg gegen Moskau zu bestehen und diesmal zu gewinnen.
Dank an Axel Schuller für seinen Beitrag.
Der Krieg in der Ukraine geht bald ins dritte Jahr. Er hat inzwischen weit mehr als eine halbe Million Tote und Verwundete gekostet. Von Januar 2022 bis Oktober 2023 wurden der Ukraine Zusagen in Höhe von insgesamt 25 Milliarden Euro für schwere Waffen gegeben – 47 Prozent davon von den Mitgliedsstaaten der EU und 43 Prozent von den Vereinigten Staaten. Mittlerweile ist Deutschland nach den USA einer der Hauptfinanziers der Waffenlieferungen. Inzwischen sind allerdings immer mehr Regierungen – allen voran die US-amerikanische – zu der Überzeugung gelangt, dass die Lieferung moderner Waffensysteme zwar das massenhafte Sterben verlängert, die Ukraine aber keinen Schritt den vorhergesagten militärischen Erfolgen näherbringt und dem Westen politisch und wirtschaftlich schadet. Unbeeindruckt davon, endete das zurückliegende Jahr mit dem Beschluss der EU-Regierungschefs (ohne Ungarn), Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Die vom Wirtschaftskrieg mit Russland geschwächte EU wird diese Verhandlungen lange hinauszögern (wie die Verhandlungen mit der Türkei). Sollte tatsächlich in absehbarer Zeit ein weitgehend zerstörtes Land mit unsicheren Grenzen und überbordenden Schulden 28. Mitgliedsstaat werden, käme das einer Selbstauflösung der Union gleich.
Die deutsche Bundesregierung hat erst im Dezember der Ukraine einen Blanko-Scheck ausgestellt. Sollte die militärische Lage über die vorgesehenen acht Milliarden Euro hinaus weitere Ausgaben erfordern, werde man 2024 eine Haushaltsnotlage ausrufen, um noch mehr Schulden aufnehmen zu können. An der unbedingten Solidarität mit der Ukraine soll festgehalten werden – koste es, was es wolle. In einer Erklärung der Bundesregierung vom Dezember heißt es, es seien aktuell „acht Milliarden Euro für Waffenlieferungen, Finanzhilfen für den ukrainischen Haushalt direkt oder über die Europäische Union und voraussichtlich mehr als sechs Milliarden Euro, um ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland zu helfen“ beschlossen worden.
Wird die Bundesregierung auf die zunehmende Kriegsmüdigkeit mit weiter verschärfter Aufrüstung reagieren, oder wird sie sich eines Besseren besinnen? Trotz des bewundernswerten Einsatzes vieler Sozialdemokraten – wie in Bremen durch den „Arbeitskreis Frieden“ – sind sie weit davon entfernt, in ihrer Partei Mehrheiten organisieren zu können. Eine Abkehr vom Kriegskurs ist daher unwahrscheinlich – zumal eine ganz große Koalition aus CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen eben diesen Kurs mit mindestens der gleichen Härte vertritt. Im Gegenteil: Mit der geplanten Aufstellung neuer Offensivsysteme („Hyperschallraketen“) durch die USA in Deutschland droht eine weitere Eskalation im Wettrüsten und ein Anwachsen der Kriegsgefahr für Europa.
Für mich ist die Mahnung von Egon Bahr richtungsweisend: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
Vielen Dank, Axel Schuller, für diesen Beitrag! Er hat die erste wirklich kritische Diskussion über den Ukraine-Konflikt initiiert, den ich seit Monaten lese.
Ich finde auch, dass die SPD, insbesondere die Bremer SPD, und Joachim Schuster eine konstruktive Rolle spielen. (Das gebe ich zu, obwohl ich die Partei ansonsten nicht schätze.)
Willy Brandt sagte: „Frieden macht man nicht mit Freunden, sondern Feinden.“, deshalb hat er ja auch mit Breschnew, Kossygin, Honecker Stoph und Gierek verhandelt. Das waren ja alles keine Demokraten, sondern mehr oder weniger Diktatoren, wie eben Putin. Deshalb muss der Westen auch mit Putin verhandeln.
Die dauernde Verdammung Putins in unseren Medien und andauernde Waffenlieferungen an die Ukraine sind völlig kontraproduktiv. Oder glaubt jemand wirklich, Putin gibt auf, wenn er nur ausreichend beschimpft worden ist und sagt:“Ihr habt Recht, lieber Westen, liebe Anna-Lena, liebe Strack-Zimmermann, ich bin ein Arschloch, ziehe mich deshalb der Ukraine zurück, zahle, was Selensky möchte und trete als Präsident zurück.“ Das ist doch völlig unrealistisch.
Realistisch ist vielmehr, so meine ich, dass die USA langsam ihre Unterstützung für die Ukraine vermindern werden. Sollte Trump gewählt werden, sofort, sollte Biden dran bleiben, etwas langsamer. Dann wird die Ukraine ohnehin verhandeln müssen, aber zu schlechteren Konditionen als heute.
In der EU kann ich mir die Ukraine auch nicht recht vorstellen. Sie ist ein armes, agrarisch geprägtes und sehr korruptes Land, zudem inzwischen völlig kaputt. Die EU-Milliarden würden dann in diesen korrupten Strukturen verschwinden.
Der Krieg in der Ukraine tobt real seit 2014, auch wenn die sogen. Experten und Analytiker erst nach den ersten Putin- Aggressionen allmählich aufgewacht sind.
Wer sich informieren wollte ,konnte dies bereits früher tun. Und zwar nicht nur bei den akademischen „Schreibtischtätern“ sondern vor allem bei denen, die sich an dem bewährten Prinzip: „ Schreiben und senden was ist“ orientieren und sich in intensiven , manchmal gefährlichen Vor-Ort-Recherchen ein Bild machen. Die Wirklichkeit in Putins postfaschistischem Reich ist facettenreich genug ….
Ein realistischen Bild erstellen und intellektuell politisch verwerten, dazu kann diese chronologische Leseliste dienen:
Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler, 1981
Peter Merseburger: Willy Brandt 1913 – 1992, Visionär und Realist, 2002
John Quintus: Russisch Monopoly, 1990
Catherine Merridale: Der Kreml, eine neue Geschichte Russlands,2013
Peter Frankopan, Licht aus dem Osten, eine neue Geschichte der Welt,2015
Masha Gessen: Die Zukunft ist Geschichte. Wie Russland die Freiheit gewann und verlor. 2018
Fritz Pleitgen Vaeterchen Don, der Fluss der Kosaken.2008
Gabriele Krone Schmalz: In Wahrheit sind wir stärker. Frauenalltag in der Sowjetunion. 1992
Oliver Stone: Die Putin Interviews, Die vollständigen Abschriften.2017
Frank Walter Steinmeier: Flugschreiber, 2016
Daniele Ganser: illegale Kriege.2016
Klaus von Dohnanyi: Nationale Interessen.2022
Udo Lielischkies: Im Schatten des Kreml. Unterwegs in Putins Russland..2019
Golineh Atai: Die Wahrheit ist der Feind. Warum Russland so anders ist.2019
Ignaz Lozo: Gorbatschow. Der Weltveraenderer. 2021
Catherine Belton: Putins Netz. 2022
Stephan Aust, Adrian Geiges: Xi Jinping . Der mächtigste Mann der Welt.2021
Daniele Ganser: Imperium U S A. Die skrupellose Weltmacht.2023
Sigmar Gabriel: Zeitenwende in der Weltpolitik.2021
Carlo Masala: Bedingt abwehrbereit. 2023
Henry Kissinger. Staatskunst. 2023
Gottfried Benn schreibt in „ Der Glasbläser“ : „Erkenne die Lage. Rechne mit deinen Defekten, gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen.“
Auch von mir zunächst ein Dank an Axel Schuller, dass er dieses schwierige Thema aufgegriffen hat. Es sollte zu denken geben, dass selbst ein so erfahrener Journalist Sorge hat, für diesen Blogbeitrag „Haue“ zu bekommen.
In der Sache: Anders als es in der Überschrift anklingt, möchte ich den anderen Parteien nicht absprechen, dass es auch ihnen um den Frieden in der Ukraine geht. Es gibt aber sicherlich zwei wichtige Unterschiede: Wir haben im Arbeitskreis Frieden in der Bremer SPD immer sehr stark eine mögliche Eskalation des Krieges im Auge gehabt. Diese Gefahr ist noch längst nicht gebannt – und es ist mitunter erschreckend, mit wie viel Leichtsinn und Unkenntnis auch hier vor Ort eine Ausweitung der NATO-Hilfen gefordert werden.
Zum anderen sind wir von Anfang an skeptisch gewesen, was die Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine betrifft. Auch in dieser Hinsicht ist vielfach – gerade auch in den Medien – ein Optimismus verbreitet worden, der mehr von westlichen „Wunderwaffen“-Glauben getragen war als von einer nüchternen Einschätzung der militärischen Kräfteverhältnisse und der enormen logistischen Probleme westlicher Unterstützung. Verdrängt wurden zudem alle Hinweise darauf, dass die Gegenoffensive gegen die starken und tiefgestaffelten russischen Linien mit sehr hohen Verlusten auf ukrainischer Seite verbunden sein würden – und es tatsächlich auch sind. Es mutet deshalb tragisch an, dass einige immer noch nach den nächsten „Wunderwaffen“ rufen, obwohl die Ukraine bereits ein sehr viel ernsteres Problem hat: es gehen ihr die kampffähigen Soldaten aus.
Es ist deshalb höchste Zeit, dass von westlicher Seite endlich ernste Anstrengungen unternommen werden, zu einem Waffenstillstand und zu neuerlichen Verhandlungen über die Beendigung des Krieges zu kommen. Die bittere Realität ist, dass die besten Zeitpunkte, die territoriale Integrität der Ukraine – wenn auch errst ohne die Krim – auf Verhandlungswege zu sichern, wohl verpasst worden sind. Die noch bittere Perspektive ist aber, dass die Ukraine Gefahr läuft, noch mehr zu verlieren, wenn nicht bald der Punkt erreicht wird, an dem die Waffen schweigen und die Verhandler reden.
Nun ganz so verhandlungsbereit, wie es immer wieder kolportiert wird und derzeit in Davos heiß diskutiert wird, ist W. Putin wohl doch nicht. Vor allzu viel Zuversicht in Ergebnisse von Friedensverhandlungen sei kritisch angemerkt: (Zitat heute aus Dagens.de von Jasper Bergmann 15.01.24)
„Nun hat Aleksey Zhuravlyov, einer der Gesetzgeber Russlands und enger Verbündeter des Diktators Wladimir Putin, das nächste Ziel Moskaus identifiziert.
Überraschenderweise handelt es sich nicht um ein Land, das offiziell Teil der ehemaligen Sowjetunion war, etwas, von dem viele Experten glauben, dass Putin davon träumt, es wiederherzustellen.
„Putin hat kein Geheimnis aus seinem Wunsch gemacht, den russischen Einfluss in allen ehemaligen imperialen Gebieten seines Landes wiederherzustellen“, sagt Mark Temnycky vom Thinktank Atlantic Council.
Stattdessen ist Polen das ins Visier genommene Land, wie Newsweek berichtet.“
Hallo Herr Schuller,
Sie schreiben eingangs „Zugegeben, liebe Leserschaft, „international“ ist nicht meine Kernkompetenz. Aber ich habe einen Kopf zum Denken…“
Tatsächlich, wir spüren mehr und mehr die Folgen des Ukrainekrieges. Die abrupte Kappung preiswerter Energie aus Russland spürt jeder Haushalt, jede Familie. Nicht nur Gas und Strom,-vieles wird teurer. Und manche Projekte in unserem kleinen Stadtstaat verzögern sich oder werden angehalten wegen der unsicheren Lage. (Nicht gemeint ist der vielmonatige Feldversuch in der Martinistraße.)
Auf der Hütte aber fällt die aufwändige Umstellung der Roheisenproduktion auf Wasserstoff in diese Kategorie.
Heute zutage ist es dringend notwendig, immer wieder über den Tellerrand zu blicken, um manche Entwicklungen zu verstehen.
Dazu zwei Überlegungen:
• Etwa 1 Milliarde Menschen leben in demokratischen Staaten, wie immer sie im Einzelnen verfasst sein mögen. Sie leben in der EU, USA, Kanada, Japan, Australien, Neuseeland etc. Ihr Pro-Kopf-Einkommen ist hoch, sie erleben einen fürsorglichen Staat, der sich um alles kümmert. Bürgerliche Freiheiten, Demokratie und Gewaltenteilung sowie eine plurale Zivilgesellschaft sind für sie selbstverständlich.
Aber auf der Erde leben 8 Milliarden Menschen und für die restlichen 7 Milliarden sieht es anders aus. Sie leben in bitterster Armut, kommen gerade noch zu Recht, oder machen die ersten Schritte heraus aus dem Jammertal. Und manche Staaten wie China haben gewaltige Fortschritte gemacht.
In jüngster Zeit müssten wir feststellen, dass diese Staaten ihr Schicksal nicht klaglos hinnehmen, sondern aufbegehren und handeln, weil auch für sie Menschenrechte gelten müssen.
Der EU-Außenbeauftragte, der Spanier Josep Borrell beschreibt trefflich diese Gemengelage:
„Europa ist ein Garten“. In Europa funktioniere alles, es sei „die beste Kombination aus politischer Freiheit, wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Zusammenhalt…“Der größte Teil der restlichen Welt ist ein Dschungel und der Dschungel könnte in den Garten eindringen“. Für Borrell wird keine Mauer oder kein Zaun der Welt seinen Garten schützen. „Denn der Dschungel hat eine starke Wachstumskapazität, und die Mauer wird nie hoch genug sein, um den Garten zu schützen… Seiner Ansicht nach müssten Europäer in den Dschungel hinein und sich mit dem Rest der Welt stärker auseinandersetzen. „Anderenfalls wird der Rest der Welt auf andere Weise und mit anderen Mitteln in uns eindringen.“ (Berliner Zeitung 17.10.2022)
• Folgerichtig sagte Josep Borrell schon zu Beginn, dass der Ukraine-Krieg auf dem Schlachtfeld und nicht durch Sanktionen entschieden wird. Wörtlich:
„Legt den Schwerpunkt auf Waffenlieferungen“, und „Sanktionen sind wichtig. Aber Sanktionen werden das Problem der Schlacht im Donbass nicht lösen.“ Es sei klar: „Der Krieg wird in der Schlacht um den Donbass entschieden.“ (EU- Info Deutschland 11.4. 2022)
Dieser Mantra folgen bis heute die USA und in ihrem Schlepptau die EU.
So denken und handeln die maßgeblichen Vertreter in der Europäischen Kommission.
Nicht Bescheidenheit und eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den Ländern des „Globalen Südens“ bestimmen die wichtigsten Politikfelder, sondern eine aggressive Durchsetzung bisheriger Positionen. Das gilt auch für Russland. Ein längst überholt geglaubtes kolonialistisches Denken feiert ein Revival. Und Deutschland ist nach der von Olaf Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ voll dabei.
Ob diese Auseinandersetzung zu einer multipolaren Welt führt oder, was ich weit eher befürchte, zu einem dritten Weltkrieg, bleibt gegenwärtig unklar.
Zu Dr. Wewerka
Statt immer wieder darüber zu spekulieren, wie weit Putin mit seinen imperialen Gelüsten ausgreifen will, sollte man sich eines klar machen: Nach Einschätzungen militärischer Fachleute würde Rusland an die eine Million Soldaten benötigen, um die Ukraine dauerhaft zu besetzen und gewaltsam zu befrieden. Ein solcher militärischer Kraftakt würde Russland auf Dauer völlig überfordern, insbesondere auch ökonomisch.
Militärs machen deshalb auch keinen Hehl daraus, dass die Armee, mit der Russland im Februar 2022 seinen Angriffskrieg startete, viel zu klein war, um das ganze Land besetzen zu wollen. Die Zielsetzung war deshalb wohl genau das, was im März 2022 begann: Verhandlungen über die militärische Neutralität der Ukraine und einen Autonomiestatus für die Ostukraine zu erzwingen – also das, was Russland schon vorher gefordert und mit dem Aufmarsch großer Militärverbände im Vorfeld des Krieges in Verhandlungen mit den USA erreichen wollte. Um keinen Zweifel daran zu lassen: Diese Fortsetzung der Politik mit militärischen Mitteln war völkerrechtswidrig und lässt sich nicht irgendwie rechtfertigen. Sie deutet aber daraufhin, dass es der russischen Führung nicht um die Wiedereinverleibung der Ukraine ging, sondern um deren militärische Neutralität und den Schutz der russischen Bevölkerung im Osten des Landes. Genau das war auch der Inhalt des Vertragsentwurfs, der im März 2022 zwischen der Ukraine und Russland ausgehandelt wurde (der dann aber wohl auf Ablehnung der USA und Großbritanniens stieß). Meine Einschätzung ist, dass es auch weiterhin das russische Hauptziel ist, die militärische Neutralität der Ukraine zu erzingen: entweder auf einem Verhandlungswege (mit militärischer Drohung im Hintergrund) oder über die nachhaltige gewaltsame Zerstörung und Verstümmelung des Landes, insbesondere mit Einverleibung der ökonomisch lebnswichtigen Grenzregionen zum Schwarzen Meer. Und von diesem Ziel wird Putin nicht abrücken, weil in Russland eine Ukraine, in der die USA womöglich Raketen mit einer Flugzeit von 5 Minuten bis Moskau stationieren könnten, als eine unter gar keinen Umständen hinnehmbare existentielle Bedrohung betrachtet wird.
Für diese begrenzte Zielsetzung kann Russland augenscheinlich das militärische Potential entfalten. Es wäre aber ein ganz anderes Kaliber, Polen und damit die NATO anzugreifen. Die militärische Logistik, um über eine solche Entfernung hinweg große militärische Kontingente zu transportieren, zu versorgen und wirksam einzusetzen, besitzt das Land auch nicht annähernd. Zudem würde es auf eine NATO treffen, die nicht mit kleineren Kontingenten älterer Waffensysteme und ohne Luftwaffen reagiert, sondern mit der ganzen Wucht ihres viel größeren militärischen Potentials antworten würde. Dass Putin in gewaltsamer Weise „den russischen Einfluss in seinen früheren Gebieten wieder hestellen“ wolle, ist daher ein Gerede, dessen Realitätsgehalt weit entfernt ist von den tatsächlichen militärischen Fähigkeiten Russlands.
Das Gerede wird auch nicht besser, wenn es von Think Tank’lern wie dem Atlantic Council stammt. Wie beschreibt es Wikipedia so schön: „Der Atlantic Council ist eine Denkfabrik und Public-Policy-Gruppe in Washington, D.C. Ihr Auftrag ist die Förderung der US-Führungsrolle und des Engagements in internationalen Angelegenheiten auf Basis der zentralen Rolle der atlantischen Gemeinschaft bei der Bewältigung der internationalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.“ Dazu gehört dann eben auch die zitierte Propaganda…
Zu Arno Gottschalk:
Wie schnell das grösste Land der Erde
(Russland) seit 2000 in nur 12 Jahren unter W.Putin von Gorbatschow’s Glasnost-Entwicklung in eine Diktatur
umgewandelt wurde, haben Alle mitbekommen die es wollten. Seit seiner Präsidentschaft findet eine hybride, rück-sichtslose KGB-Übernahme des Landes und intensive Destabi-lisierung des Westens (incl. massiver auch finanzieller Unterstützung vieler populistischer Parteien ) bei gleichzeitig
massiver Ausweitung russischer geopolitischer Einflusszonen in vielen Ländern der Welt statt. (Wagner) 2014
mit Annexion der Krim, Niederschlagung der Oppositionsproteste in W-Russlands,
Venezuelas, Beratung hierzu auch im Iran, Militäreinsatz in Syrien, Lybien, Jemen, Somalia, Mali etc. Dazu politisch motivierte Morde/Versuche (Politowskaja,Estemirova,Nemzov,
Beresowski, Scripal, Tiergartenmord, Navalny und mitlerweile ca 28 Fensterstürze etc.) und die Gleich-schaltung und Unterwerfung der
Justiz ( Bsp.Chodorowski) und der Presseorgane. Das ganze finanziert aus schwarzen Kassen und in
vertrauter Kooperation mit der OK des Landes, insb. St. Petersburg. Alles nachzulesen bei C. Belton .
Man braucht zur Machtausübung über einen Staat kein Millionenheer. Die Androhung und Verhängung drastischer Strafen, Willkürurteile, Denunziation und Gewalt sind hierzu in der Regel (Türkei/Syrien/China/W-Russland/N-Korea ) ausreichend.
Wir sollten bei allen Möglichkeiten für realistische Friedens-bemühungen aber die uns allen so lieb gewonnene Naivität gegenüber dem Kreml (überlassen wir mal Gazprom den Füllzustand unserer Gasspeicher etc.) gegen einen fundierten Erkenntnisblick und eine belastbare Realitätseinschätzung der Möglichkeiten und Grenzen eintauschen.
Lieber Herr Dr. Wewerka:
Niemand behauptet doch, dass Russlands politisches System für uns nachahmenswert oder erstrebenswert wäre. Das gilt genauso für unser Verhältnis zur Türkei (immerhin unser NATO Partner) und Saudi Arabien, deren Menschenrechtsverletzungen uns nicht von guten wirtschaftlichen Beziehungen und Waffenlieferungen abhalten.
Aber warum messen wir so sehr mit zweierlei Maß. Die völkerrechtswidrigen Kriege der US-Amerikaner und der NATO im Irak, in Afghanistan, in Libyen und im Kosovo – haben wir die als brutale Angriffskriege verurteilt? Und die insgesamt über 700.000 getöteten Zivilisten dort (mehr als das 50 fache der Ziviltoten in der Ukraine) waren damals nur sogenannte Kollateralschaden?
Als die Sowjetunion 1962 Raketen in Kuba stationieren wollte, haben wir doch gejubelt, als Kennedy das gestoppt hat. Natürlich hatten wir Verständnis dafür, dass die USA das als Bedrohung empfunden haben. Auch hier wieder: zweierlei Maß. Und die offiziell angeordneten, gezielten Tötungen von Menschen durch die Amerikaner und die völkerrechtswidrigen Tätigkeiten der Geheimdienste des Westens, halten wir die für richtig, weil wir die Guten sind? Und gibt es nicht zu denken, dass immer mehr Länder, wie Sie richtig schreiben, unseren westlichen Werten skeptisch gegenüberstehen und sich von der amerikanischen Dollar- Hegemonie abwenden?
Wichtig ist doch jetzt: Wie kann der Ukraine-Krieg enden? Jeder weitere Tag ohne Verhandlungen nützt nur den Russen, deren Verhandlungsbereitschaft immer mehr abnimmt… Die Ukraine hat nur dann eine Chance, wenn die NATO mit uns Deutschen direkt in den Krieg eingreift, der jetzt noch ein Stellvertreterkrieg auf ukrainischem Boden ist, an dem wir schon indirekt längst beteiligt sind. Wollen Sie, Herr Dr. Wewerka, eine solche Eskalation?
Lieber Herr Fluss:
Wenn ich hier für eine unbedingt notwendige realistisch-nüchterne politische
Sichtweise plädiere – die in den letzten Jahren gegenüber dem Kreml fehlte- dann sollte hieraus keine Einäugigkeit diagnostiziert werden. Hier darf ich auf die sehr umfangreiche wie empfehlenswerte
Literaturliste von Herrn Blinda verweisen, der mit seinen Hinweisen zu den Büchern des schweizer Historikers Daniele Ganser, auf dessen vortreffliche und sorgfältige Recherchen hinweist. Daniele Ganser, der schon durch seine Promo-tionsarbeit über „Gladio“
auf die, von den USA bereits kurz nach dem 2. WK in Europa
geschaffene flächendeckende
Etablierung von Stay-behind Kräften (Arbeitsschwerpunkt von A. Dulles) erstmalig hinweist. Ich will damit sagen, dass Naivität weder die Sehkraft des einen noch des anderen Auges trüben sollte.
Gejubelt habe ich im Oktober 1962 über den diplomatischen Erfolg von JFK keineswegs, ich war nur unwarscheinlich erleichtert. Dramatisch für ihn mur, dass ihn dieser Erfolg im November 63 durch einen Putsch das Leben gekostet hat. Aber zurück zum Thema realistischer Blick auch in der Diplomatie: In der Vergangenheit hat die deutsche (Aussen-)Politik hier gegenüber dem Kreml nicht
mit Nüchternheit und kritischer Distanz geglänzt. Diese Naivität muss abgelegt werden, gerade in so kritischen und bedroh-lichen Zeiten. Dies unfasst auch eine sorgfältige Analyse der Bedingungs-,Motiv- und Handlungsebenen von geopolitischen Konflikten. Hieraus eine Haltung hin zu unverantwortlicher
Escalation abzuleiten, lieber Herr Fluss, bleibt mir unver-ständlich. Auf die o.a. 3 Grundlagen akzeptabler und nicht nur auf taktische Vorteile für eine Seite abzielender (Friedens-) Verhandlungen darf ich zum Abschluss nochmals hinweisen.
Nochmals Dr. Wewerka, in Erwiderung auf die obige Antwort an mich:
Mir scheint, dass dieser historische Abriss, trotz aller Literaturempfehlungen, doch etwas arg einseitig ist. Wir müssen uns schon fragen, ob nicht vielleicht auch der Westen Fehler gemacht hat. Von ganz unverdächtiger Seite hierzu dieser Rückblick aus dem Jahr 2016: https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/233440/meinung-der-westen-traegt-eine-mitverantwortung-fuer-die-ukraine-krise/
Und ein aktueller kritischer Blick von dem ehemaligen amerikanischen Botschafter Chas Freeman, den Manfred Fluss oben schon in der deutschen Übersetzung des Titels empfohlen hat: https://chasfreeman.net/the-many-lessons-of-the-ukraine-war/
Liebe Mitdiskutanten.
empfehle zum Thema auch den aktuellen Spiegel mit dem Artikel über Putin und die Ukraine.
Für Arno Gottschalk sei ein Zitat von Chas Freemann, den China-Wegbegleiter von US-Präsident
Richard Nixon hier zum Thema Studentenrevolte auf dem Platz “ Am Tor des himmlischen Friedens“ am 3. und 4. Juni 1989 hier kurz referiert:
„[T]he truly unforgivable mistake of the Chinese authorities was the failure to intervene on a timely basis to nip the demonstrations in the bud, rather than—as would have been both wise and efficacious—to intervene with force when all other measures had failed to restore domestic tranquility to Beijing and other major urban centers in China. In this optic, the Politburo’s response to the mob scene at ‚Tian’anmen‘ stands as a monument to overly cautious behavior on the part of the leadership, not as an example of rash action… I do not believe it is acceptable for any country to allow the heart of its national capital to be occupied by dissidents intent on disrupting the normal functions of government, however appealing to foreigners their propaganda may be. Such folk, whether they represent a veterans‘ ‚Bonus Army‘ or a ’student uprising‘ on behalf of ‚the goddess of democracy‘ should expect to be displaced with despatch [sic] from the ground they occupy.“