“Alles, was der WK weglässt, kann er nicht verhunzen” (siehe Eiswette) / Auflage sinkt

23.01.2024 4 Von Axel Schuller

Nach über 190 Jahren sind die Frauen endgültig bei der „Bremer Eiswette von 1829“ angekommen: Bei dem jüngsten Fest im Congress Centrum hielt erstmals eine Frau die „Gästerede“. Die jüngste Feier wurde dank einer Wahnsinns-Spende von 576.000 Euro und aufrüttelnder Reden ihrem Anspruch gerecht, neben dem Schaffermahl einer der beiden gesellschaftlichen Höhepunkte zu sein. Unserem Heimat-Blättchen war dies ein Foto und 21 Zeilen Bildunterschrift wert. Leid-erprobte flüchten sich mittlerweile in Zynismus: “Alles, was der WK ‘weglässt’, kann er nicht verhunzen.” Neues von Hiob: Die Auflage sinkt weiter.

Als Journalist aus dem vorigen Jahrhundert frage ich mich: Wie ist es möglich, dass eine Zeitung, die für sich in Anspruch nimmt, zum demokratischen Fundament der Stadt zu gehören, dermaßen ignorant durchs Leben tapst.

Die Redaktion schafft es, selbst in den dürren 21 Zeilen zur Eiswette auch noch Unfug zu kritzeln. Ich zitiere: „… um gemeinsam zu essen, zu trinken und den Reden von Vertretern des Präsidiums… und deren Ehrengästen zu folgen, darunter…Strack-Zimmermann und… Yared Dibaba“. Boah ej, Hammer! 

Die wichtigsten „Ehrengäste“, nämlich die Redner, werden in der Printausgabe des Blattes nicht einmal erwähnt. Es waren: BASF-Vorstandschef Dr. Martin Brudermüller und Hildegard Müller, Präsidentin des noch immer mächtigen Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA; steht für zwei Millionen Arbeitsplätze). 

Im Weser Kurier: nix davon. Gibt es für redaktionelle Mitarbeiter eigentlich ein Pendant zu Kindersoldaten?

Einzig denkbare Hilfs-Entschuldigung für die WK-Kollegen: Die „Eiswette“ liefert den Medien rein gar nichts auf dem Silbertablett. Man muss sich also selbst um Infos bemühen. Und: Die „Eiswette“ hat ein etwas seltsames Verhältnis zur Öffentlichkeitsarbeit

Den Rednern wird vorab zugesichert, dass nichts nach außen dringe. Sie könnten also frei von der Leber sprechen. Und dennoch: Früher (sage ich jetzt mal als alter weißer Mann) „griff“ sich eine aufgeweckte Redaktion diese Promis vor der Eiswette zum Gespräch ab und konnte so manchmal interessante Inhalte an den gemeinen Leser m/w vermitteln.

Heute ist das offenbar anders. 

Hilfsweise können Journalisten aber auch in der heutigen Zeit interessante Redner m/w um Freigabe einiger Zitate bitten. Siehe unten.

Die VDA-Chefin Hildegard Müller, als Ex-Staatsministerin im Kanzleramt unter Angela Merkel gestählt, hatte keine Mühe damit. Und die Frau redet nicht nur Klartext, sondern steht auch dazu. Während ihrer Sätze mussten vermutlich einige Zuhörer zwangsläufig an Bundesaußenministerin Annalena Baerbock denken. Die Grüne ist ja eher von ihrem moralischen Anspruch als vom Interesse für die Sicherung deutscher Arbeitsplätze getrieben.

Kurze Auszüge aus Müllers Rede („ordnungspolitisch“ nicht ganz korrekt platziert) im post skriptum-Bereich.

Dr. Martin Brudermüller, Chef von weltweit 111.481 BASFlern, geizte dagegen leider mit der Freigabe seiner Rede. Der „Herr“ über rund 90 Milliarden Euro Umsatz hielt der Bundesregierung und der EU-Kommission gnadenlos den Spiegel vor, worunter die wirtschaftliche Entwicklung aktuell leide. Die Zuhörer m/w hingen ihm an den Lippen.

In Erinnerung wird bleiben – nein, nicht meine Indiskretion – sondern der Hinweis, dass die EU allein die chemische Industrie mit Vorschriften beglückt, die sage und schreibe 15.000 Seiten füllen.

Liebe Leserinnen und Leser, verstehen Sie jetzt besser, weshalb ich die Bruch-stückhafte WK-Berichterstattung als lieblos empfunden habe? Brudermüller und Müller kommen nicht alle Nase lang an die Weser. Sie gehören zur deutschen Führungselite. Aber „unsere“ Zeitung vermittelt nicht einmal den Glamour, der mit diesen beiden Repräsentanten verbunden ist.

Lichtblick: Korrekt wurde immerhin das Ergebnis der Spendensammlung vermittelt: Die rund 800 Männer und Frauen trugen rund 576.000 Euro zusammen, welche die DGzRS nun zur digitalen Runderneuerung der Leitzentrale auf dem Stadtwerder nutzen möchte.

Dass so viel Geld zusammenkam, ist zum großen Teil vielen Gästen in Spendier-„Hosen“ (ja, alter Ausdruck) zu verdanken. Aber vermutlich auch Bremern, die es in den Stand von Milliardären mit Sinn fürs Gemeinwohl geschafft haben. Mir fallen auf einen Schlag mindestens fünf Gäste ein: J., L., M., S., Z. Stopp, nun wird’s ja tatsächlich indiskret

Bleibt mir noch, den Hinweis vom Anfang „Auflage sinkt“  aufzuklären.

Kurz und dennoch schmerzhaft für den Weser-Kurier:

Laut „ivw“ hat der WK im vierten Quartal 2023 nur noch 102.171 Print-Exemplare inkl. E-Paper verkauft. Genau ein Jahr vorher waren es noch 111.178 gedruckte Zeitungen inklusive elektronischer E-Paper. Laut ivw bedeutet dies ein Minus von 8,1 Prozent.

Von den im vierten Quartal 2023 102.171 verkauften Exemplaren waren 19.758 E-Paper.

Und jetzt noch die Abo-Zahlen (Print und E-Paper): 91.752 in 4/2023 gegenüber 98.394 in 4/2022. 

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Und nun für wissbegierige Leser m/w einige bemerkenswert offene Äußerungen der VDA-Präsidentin Hildegard Müller bei der Bremer Eiswette:

“Als deutsche Automobilindustrie wollen wir die Transformation zu klimaneutraler Mobilität zu einer Erfolgsgeschichte machen. Dazu braucht es auch funktionierende und belastbare internationaleBeziehungen, denn wir werden die vielen Krisen unserer Zeit nicht alleine bewältigen. Gerade in Zeiten, in denen Protektionismus und Abschottung zunehmen, müssen Deutschland sowie die EU die Zusammenarbeit mit anderen Ländern und Regionen aufbauen, ausbauen und intensivieren. Wir brauchen mehr freien und fairenHandel – nur so können Unternehmen auch die notwendige Resilienz und Diversifizierung realisieren. In Berlin und Brüssel braucht es endlich mehr Entschlossenheit hinsichtlich entsprechender Handelsabkommen mit anderen Regionen. Brüssel darf dabei nicht den Fehler machen, mögliche Abkommen mit überambitionierten Zielen zu überfrachten…“

Und

“Wir dürfen uns auch nicht leichtfertig von wichtigen Partnern lossagen. Ein Decoupling von China darf es nicht geben. Vielmehr müssen wir den intensiven konstruktiven Dialog suchen. Denn es ist gerade in der aktuellen Zeit wichtiger denn je, dass wir an Globalisierung und freiem Handel festhalten und weitere Abkommen abschließen, auch für Rohstoffe und Energie.”