Investor: Bremen als Labor für Deutschland einsetzen / Oliver Rau: Wo ist die Vision?

18.02.2024 4 Von Axel Schuller

„Berlin hat den Image-Dreh hingekriegt, indem der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit den Spruch geprägt hat: Berlin ist arm, aber sexy.“ Bremen, so einer der aktuell finanzstärksten Bremer Investoren, Klaus Meier (59), wünschte sich während einer Rede beim 22. „Habenhauser Schaffermahl“: „Bremen sollte endlich seine Zwergenhaftigkeit nutzen“. Konkret: „Bremen kann das Labor für Deutschland werden.“ Während Meier teilweise umwerfende Gedanken vortrug (Gymnasien und Bargeld abschaffen), vermeldete Bremens Tourismuschef Oliver Rau geradezu Sensationelles: „Bremen hat das Vor-Corona-Hoch in 2023 um 10.000 Übernachtungen übertroffen.“ Rau startete zudem eine Charme-Initiative.

Geneigte Leserschaft, meine Halbtages-füllende Teilnahme am „Habenhauser Schaffermahl“ (von 16 bis 22 Uhr) war beglückend erkenntnisreich. Daran lasse ich Sie heute gerne teilhaben, ohne in die Rolle des Nacherzähl-Onkels zu schlüpfen. Deshalb auch nix zu zwei weiteren Rednerinnen (Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt und BEK-Vize-Schriftführerin Ulrike Bänsch) sowie nix zum Fest in der Habenhauser Simon-Petrus-Kirche. Außer: Das 22. „Habenhauser Schaffermahl“ erbrachte stolze 24.185 Euro an Spenden. Und ein Video, wie alle Teilnehmer zusammen mit dem dem Chor „Gospels and more“ die Werder-Hymne „Lebenslang grün-weiß“ aus voller Kehle schmettern (siehe folgenden YouTube-Link).

Das muss reichen. Denn, was Meier und Rau zu sagen hatten, gehört in die Öffentlichkeit – auch wenn Ihre Lieblings-Tagesmedien nicht anwesend waren…

Dr. Klaus Meier, Mr. Wind-Energie und aktuell Bremens Investor-Tausendsassa (neuer Stadtteil „Überseeinsel“ auf dem Kellogg’s-Gelände, Übernahme des Klimahauses in Bremerhaven, Hotelneubau in Dänemark und weiteres) formulierte Wünsche aus Unternehmer– und auch aus der Sicht eines Familienvaters. Er sprach ohne Manuskript, so dass ich seine Rede gestützt auf meine Notizen, inklusive wörtlicher Zitate, wiedergebe. 

Klaus Meier sagte wörtlich und sinngemäß:

Bremen sollte sich für Deutschland unverzichtbar machen, indem es auf möglichst vielen Feldern möglichst viel ausprobiert, super schnell evaluiert und dann als Muster fürs ganze Land vorschlägt. So könnten wir unsere Kleinheit als Vorteil nutzen

Was hier funktioniert, kann auch andernorts klappen.

Anhand seines Projektes auf dem Kellogg’s-Gelände („Das ist wie aus dem links-grünen Traumland“) beschrieb er aktuelle Mängel des staatlichen Systems. „Alle sagen, „das ist ein tolles Projekt“. Es wäre schön, wenn wir endlich bauen könnten. Es dauert in Bremen ein Jahr, bis man eine Baugenehmigung erhält. Das ist unerträglich.

Insbesondere die Brandschutz– und Lärmschutzvorschriften sind überbordend. Da trifft man auf Behördenmitarbeiter, die scheinen Probleme regelrecht zu suchen, statt an deren Lösung interessiert zu sein

Die Arbeitsvermittlung in Deutschland ist effektiv geworden, seitdem die Arbeitsämter zu Arbeitsagenturen geworden sind. Seitdem haben die Mitarbeiter klare Vorgaben, und es läuft.

Solche Case-Manager brauchen wir endlich auch in der Baubehörde

Am Rande: In Dänemark bauen wir gerade ein Hotel. Da entschuldigt sich der Bürgermeister, dass er im Bauamt einen Engpass überbrücken muss – und das Genehmigungsverfahren ungewöhnlich lange dauern werde – nämlich drei Monate…

Ein anderes Beispiel von Meiers Behördengroll. Da kriegst du vorbildlich einen Hinweis, dass der Pass im Mai abläuft. Den frühst möglichen Bearbeitungstermin erhält du aber erst im Juni. Warum wird dieses System nicht endlich digitalisiert? Es ist doch unglaublich, dass man auf solch einen einfach-Termin – Meiers Original-Zitat lasse ich mal freundlich weg 🙂 – monatelang warten muss.

Bremen – so der Investor – habe als Land sowohl beim Baurecht als auch bei der Behördenorganisation freie Hand, alles besser zu machen. Das gelte auch für das Schulsystem.

Wir brauchen in der Wirtschaft kreative Kräfte. Warum macht man es nicht endlich wie in Skandinavien. Da gibt es nur Gesamtschulen. Da wird vielmehr spielerisch gelernt. Gymnasien sind überflüssig. Wenn man sie unbedingt parallel behalten will, dann darf man sie nicht länger so schlecht behandeln. Meine Tochter weigert sich, in der Schule aufs Klo zu gehen. Das sind doch keine Zustände.

Von Skandinavien können wir auch auch bei der Integration lernen. Wer schwedischer Bürger werden will, muss als erstes und schnell Schwedisch lernen. Sonst läuft da gar nix.

Und zum Schluss – für deutsche Ohren – Revolutionäres: „Würden wir in Deutschland endlich das Bargeld abschaffen, wären Drogenhandel und Schwarzarbeit sofort am Ende.“ 

Geneigte Leserschaft, Meier erhielt für seine Philippika mitsamt der Lösungsvorschläge viel Beifall. Auch Oliver Rau, der als erster Redner (für mehr positives Denken und gegen das permanente Schlechtreden der eigenen Stadt) geworben hatte, traf offenbar den Nerv der 152 Zuhörer m/w.

Rau präsentierte seinen Zuhörern exklusiv und stolz Bremens Übernachtungsbilanz des Jahres 2023. Demnach registrierte das Statistische Landesamt im vorigen Jahr 2,5 Millionen Übernachtungen. Dies sind 10.000 mehr als im letzten Spitzenjahr vor Corona. Im Durchschnitt kamen 2023 alle deutschen touristischen Ziele auf 80 Prozent der früheren Höchstwerte, Bremen sei jetzt bei 101 Prozent angelangt.

Ich sage schon mal: Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

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Nun dokumentiere ich die Rede von Oliver Rau (55). Hinweise: Auszugsweise, ohne persönliches Intro UND:

Die von ihm am Ende zitierte „Ode an Bremen“ ziehe ich an den Anfang! DENNOCH: Halten Sie bitte bis zum Schluss durch. Es lohnt sich! Dann finden Sie auch den Hinweis auf die fehlende Vision.

Seinen beeindruckenden Lebenslauf als Ruderer in der Nationalmannschaft, seine Tätigkeiten bei Beck’s, Werder und der Deutschen Sporthilfe lasse ich aus Gründen der Länge weg. Nicht aber den Hinweis auf den „eigentlichen Star der Familie„, seine Frau. Jana Sorgers-Rau (56) hat zweimal Olympisches Gold und 9 Weltmeisterschaften als Ruderin gewonnen!

Oliver Raus Schluss lautete:

Ich möchte enden mit einer „Ode an Bremen“, die ich als Postkarte bei unserem wunderbaren Regionalkaufhaus „Made in Bremen“ erworben habe. Gestaltet und erdacht von 2 jungen Bremern…

Ode an Bremen:

Wir führen jede Tabelle an. Ob von vorne oder hinten, ist egal. Hauptsache kein Mittelmaß. 

Wir haben unseren eigenen Kopf. Und von Geburt an drei Mal Recht.

Wir glauben nicht an Hautfarben. Wer von hier kommt, ist sowieso ein Leben lang grün-weiß.

Wir teilen gerne unseren Schlüssel zum Glück. Schon unsere weltberühmten Tiere wussten das. Wir feiern das Leben. In allen fünf Jahreszeiten. Und bei jedem Wetter. Wir tanzen im Viertel. Gehen im ‚Bermuda-Dreieck‘ verloren. Und tauchen getauft im Rollo-Mekka wieder auf.

Wir beweisen guten Geschmack. Knipp, Kluten und Klaben geben uns recht. Bei Kohl und Pinkel kommen wir erst so richtig auf Touren.

Wir genießen unser Bier an der Schlachte. Von weltbekannt bis Stadtteilbrauerei. Wir greifen nach den Sternen, aber sind auf dem Boden geblieben. Wir sind in der Welt zu Hause. Und an den Ufern der Weser daheim.

Wir lieben diese Stadt. Nirgendwo anders wollten wir leben. Wir in Bremen.

Und nun die Überlegungen des Bremer Marketing- und Tourismuschefs:

„Was es für ein erfolgreiches Bremen-Marketing braucht:

Stärkung von Trends wie Radtourismus und nachhaltiges Reisen

Bremen feiert in 2024 das „FahrradJA!“, denn Bremen ist Deutschlands fahrradfreundlichste Großstadt, in Europa Platz 3 und weltweit Platz 9. Zu gut, um damit in der Tageszeitung erwähnt zu werden. 😉  Viele Veranstaltungen (begonnen mit den Sixdays, im April mit dem Red Bull-Crossbike-Event „Bull Aufsatteln“, Breminale mit Bikinale und viele mehr). Radtourismus liegt voll im Trend, wir benötigen aber beispielsweise mehr fahrradfreundliche Hotels, mehr Leihräder (auch e-Bikes) in der Stadt…

Insgesamt wird nachhaltiges Reisen immer wichtiger …Vorzeigeprojekte durch Auszeichnung sind u.a. das Radisson Blu Hotel oder das fantastische Regionalkaufhaus ‚Made in Bremen‘ mit dem Tourismuspreis der Freien Hansestadt Bremen. Neue Website: www.bremen.de/nachhaltig-erleben

Eine moderne Messe- und Kongresslandschaft

Ein großer Teil der 2,5 Mio. Übernachtungen in Bremen entstehen beruflichen Gründen. B2B-Tourismus zu Zeiten von großen Messen oder Kongressen, sind die Innenstadthotels auch schon mal komplett ausgebucht. Investitionen in diese Branche sind wichtig…

Einen Flughafen mit attraktiven In- und Outgoing-Zielen

Etwa 20 Prozent unserer Übernachtungsgäste kommen aus dem Ausland. Hier spielt eine gute Anbindung via Flugzeug eine wichtige Rolle, wenn wir als Standort für internationale Messen und Kongresse interessant sein wollen oder als attraktive Städtereisedestination für Briten, Schweden, Norweger usw. 

Einen funktionierenden, sauberen und sicheren Bahnhof mit optimaler Anbindung im Fernverkehr

Natürlich muss Bremen als attraktives Reiseziel eine gute Anbindung mit der Bahn via IC und ICE gewährleisten. Wir arbeiten hierfür eng mit der DB zusammen.

Ein sicherer, sauberer Bahnhof ist ein Thema, das wir mit Marketing allein nicht lösen können. Und schon gar nicht von heute auf morgen. Im vergangenen haben wir aber mit verschiedenen Veranstaltungen zeigen können, wie der Bahnhofsplatz an Aufenthaltsattraktivität gewinnen kann – und die Menschen haben es angenommen: Beach Volleyball der Spitzenklasse, Open Air Kino, Freiluftkonzert, Beach Club, Pumptrack für Jugendliche und einiges mehr.

Eine attraktive und lebhafte Innenstadt

Die Innenstädte der Zukunft beschäftigen uns nicht erst seit der Corona-Pandemie. Hier ist ebenfalls ein ressortübergreifendes Handeln gefragt. Es geht in erster Linie um eine Verknüpfung aller Lebensbereiche: Neben Wohnen und Arbeit auch Bildung, Freizeit und Kultur. Die City ist eben keine reine „Umkleidekabine“ mehr! Und das ist noch ein langer Weg, dessen erste Schritte Bremen aber bereits geht … Umnutzung der Sparkasse am Brill, Einzug der Uni in die Landesbank, Umgestaltung Domshof, Urban Sports-Aktivitäten der WFB , OpenSpace, Fashion Days.

Förderung von stetigen (bestehenden und wechselnden) Highlights in Kultur und Sport

Unabhängig von Bewerbung und erfreulicher Besucherfrequenz müssen wir uns Sorgen machen, dass unsere „Umsonst und Draußen“-Großveranstaltungen wie die Breminale, das FestivalMaritim, HOEG, Summersounds, Open Space und viele mehr die Chance haben, zu überleben; und Gäste von nah und fern im gewohnten Umfang zu begeistern. Wir bekommen das gemeinsam hin, es ist aber beileibe kein Selbstgänger.

Die aktuelle Haushaltssituation, Teuerungsrate, zurückhaltende Sponsoren machen Durchführung und Bewerbung von solchen Festivals zur echten Herausforderung für die Veranstaltenden.

Deshalb auch hier mein Appell an die anwesenden Wirtschaftsvertreter: Zur Stärkung des Standortes gerade diese Leuchttürme zu unterstützen, sonst wird es sie absehbar nicht mehr geben

Motivierte Unternehmen, Leistungsträger:innen und Bürger:innen, die das Marketing stärken 

Larmoyanz und Selbstverzwergung sind ein Problem dieser Stadt, nicht nur beim Finden neuer Fachkräfte. Mich nervt das kolossal, lassen Sie uns bitte nicht ständig selber in Schutt und Asche reden, sondern die Stärken stärken.

Lassen Sie uns aufhören mit unserer permanenten Selbstverzwergung, egal ob in Bremen, Bremen-Nord oder Bremerhaven,. Es bringt nichts. Ja, es ist nicht alles gut, aber glauben Sie, dass es in Hamburg, Frankfurt, Köln oder Nürnberg alles besser ist?

Viel wichtiger ist es, die positiven Nachrichten nach außen zu tragen, sich für den Standort stark zu machen und die Möglichkeiten zu machen! Sie, wir alle, wollen am Ende Fachkräfte und Bewohnende finden, sie müssen auch die Vorteile des Standortes verkaufen.

Natürlich sind erfolgreiche Unternehmen wichtig für den Erfolg des Standortes. Natürlich muss Bremen die Transformation der Wirtschaft aktiv angehen, Beispiel Stahlwerke. Tun sie ja auch. Aber lassen Sie mich als Marketing-Mann sagen: Wichtig ist genauso, wie man über den Standort kommuniziert.

Nur Schönreden hilf nicht, aber das Thema Bildung ist an dieser Stelle wirklich überbewertet, wenn es um Gewinnung externer Fachkräfte geht. 

Stolz ist für manche ein schwieriger Begriff: Aber ich bin stolz auf diese Stadt. 50.000 gehen auf die Straße und demonstrieren für Demokratie und gegen Fremdenhass – und JA: Werder Bremen KANN im 125. Jahr seines Bestehens sogar auf einmal wieder den FC Bayern München besiegen!

Mut zur Innovation – sowohl politisch motiviert als auch auch durch private Investitionen

Ja, Bremen ist hanseatisch, unsere Werte und der Wunsch zur Beständigkeit sind extrem wichtig. Aber die Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers. Also lassen Sie uns mal mutig sein, neue Dinge probieren, auch auf die Gefahr hin zu scheitern. Aber immer nur „more of the same“ wird uns aus der Konkurrenz der Mitbewerbenden nicht hervorheben, weder im Städtetourismus noch als Unternehmensstandort. …

Ein Stadtmusikantenhaus muss, wenn es in Betrieb geht, herausragen, im Bereich Architektur helfen Hingucker (s. Elbphilharmonie) – wie wäre es damit in der Überseestadt? Wir hören gleich Dr. Klaus Meier, der nicht ein, sondern mehrere Geschenke für die Stadt hat. Die Überseeinsel ist ein Hammer für diese Stadt. Was dort passiert, ist unglaublich, ich sag‘ das aus voller Überzeugung. Klaus ist sicher nicht nur Philantrop, sondern auch ein kluger Kaufmann, aber er hat im Kopf keine Grenzen und die Mittel, seinen Willen und seine Visionen umzusetzen. Das ist großartig. Mehr davon! 

Wir brauchen keine Veranstaltungsverbote, sondern müssen ungewöhnliche Formate entwickeln oder nach Bremen holen, vielleicht bereit sein, auch mal den Wochenmarkt vom Domshof auf den Marktplatz zu verschieben, um dort spektakuläre Sportveranstaltungen stattfinden zu lassen. Der Domshof wird mit seiner Umgestaltung übrigens auch ein wichtiger und zentraler Ort werden. Und selbst da fangen wir schon wieder an, das Projekt zu zerreden. Als beteiligtes Mitglied der Jury für mich nichtnachvollziehbar. Ich freue mich darauf…

Ein gemeinsam gelebtes, ressortübergreifendes Stadtmarketing-Konzept – Entwickelt eine langfristige Vision! Mehr Kooperation – besonders im politischen Raum!

Ich frage mich oft: Wo ist die Vision für Bremen? Wer ist dafür verantwortlich? Wo soll es hingehen?

Im Konkurrenzkonzert der Politik wird leider oftmals nur innerhalb der Legislaturperioden gedacht, nur innerhalb der eigenen Ressorts, innerhalb der eigenen Parteien. Was fehlt, ist der langfristige Blick – und dann sind wir wieder bei der Ausgangsfrage: Wie soll Bremen als Stadt der Zukunft aussehen?

Ich jedenfalls bin überzeugter Bremer – schon seit … immer. Und werde es nicht müde, andere mit dieser Bremen-Liebe anzustecken.

Hätten Sie es übrigens gedacht: Die mit dem Standort zufriedenste Gruppe sind die Studierenden, die meisten kommen nicht von hier. Auch interessant, oder? Das hat eine aktuelle Bremen-Umfrage mit dem markstones Institut ergeben. Dies gilt für alle Hochschulen und die Universitäten.

Unser Fokus für 2024 wird deshalb noch mehr auf dem Binnenmarketing liegen, denn nur, wenn von innen heraus gut über einen Standort gesprochen wird, wirkt dies auch nach außen.

Sie wissen das: Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben!