Ein MUST READ: Hamburgs Ex-Bildungssenator packt aus / Will Bremen gar nicht besser werden?
Es gibt Sätze, die sind derart niederschmetternd, dass man sie nicht vergisst. Ein aktueller lautet: „Manche Länder wollen gar nicht besser werden.“ Ausgesprochen hat ihn Hamburgs Ex-Schulsenator Ties Rabe (SPD); nachzulesen im „Handelsblatt“. Rabe zierte sich, Ländernamen zu nennen. Meine Kollegen retteten sich mit der Formulierung: „Aus Kreisen der Wissenschaft verlautet jedoch, dass die Lage in Bremen, Berlin und Niedersachsen besonders aussichtslos sei“. Zu einem kurzen Freuden-Juchzer von Bremens Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) dürfte der nächste Satz geführt haben.
„Das liege nicht immer an der Politik, teilweise sei das System so chaotisch wie widerspenstig, dass es auch ambitionierte Politiker ausbremse“ – hieß es.
Ties Rabe hat diese Woche bei einer OECD-Veranstaltung reinen Tisch gemacht. Der Mann war jüngst nach 13 Jahren als erfolgreicher Hamburger Bildungspolitiker zurückgetreten. Ihm fehle die Kraft für weitere Kämpfe. In der Szene munkelt man, er habe angesichts eines drohenden Burn-Out die Reißleine gezogen.
Zur Erinnerung: Der Sozialdemokrat hat das – ähnlich wie in Bremen – daniederliegende Bildungssystem so radikal umgesteuert, dass Hamburg nunmehr im ersten, statt im letzten Drittel des Bildungs-Rankings angekommen ist.
Was Rabe aus dem Maschinenraum der Hamburger Bildungspolitik berichtet, ist im Grunde ungeheuerlich – und wohl leider auf andere Länder übertragbar.
Seine Kernaussagen: Die deutlichen Verbesserungen des Lernniveaus sei „nur gegen den massiven Widerstand von Lehrern und Eltern möglich gewesen“. Es sei extrem mühsam, „ein riesiges System zu überzeugen, das … jeden Kultusminister abblocken kann“. Bildungsverbände – Lehrer, Gewerkschaften und Eltern – hätten in seinen 13 Amtsjahren „fast nie Anstöße gegeben, die damit zu tun hatten, dass Kinder besser lesen, schreiben und rechnen lernen“.
Rabe setzte dennoch Ganztags-Grundschulen in nahezu allen Stadtgebieten durch (Rechtsanspruch bundesweit erst 2026). Den Leistungsstand der Jungen und Mädchen prüft Hamburg häufiger als andere Bundesländer. Rabe setzte durch, dass die Basics Lesen, Schreiben, Rechnen in den Vordergrund gerückt wurden (siehe auch im Blog-Archiv).
Dabei rieb er sich offenbar an Pädagogen auf: Von denen meinten viele, man solle die Ganztags-Kinder nachmittags „lieber spielen lassen“. Sein Credo dagegen lautet: Nachmittags sind alle Kinder in der Schule. Sie werden beim Hausaufgaben-machen betreut. Kinder mit Defiziten besuchen zur gleichen Zeit spezielle Förderkurse.
Fast schon sarkastisch klingt Rabes Rückschau auf die Phase der Umsteuerung. Sehr mühsam sei es gewesen, Lehrer m/w zu „überzeugen, mehr Zeit ihres wertvollen Deutschunterrichtes zu opfern, um die schlechte Rechtschreibung der Kinder zu verbessern“. Er habe „wütende Briefe der Verbände mit dem Slogan ‚Diktat kommt von Diktatur‘ bekommen“.
Rabe beendete die Debatte, setzte sich durch und änderte den Lernplan. Fünf Jahre habe es anschließend gedauert, Hamburg in bundesweiten Rechtschreib-Vergleichen von Platz 13 auf Rang 5 zu heben.
Leider gäbe es noch immer Widerstand gegen die von ihm betriebene Rückbesinnung auf die Grundlagen schulischen Lernens. Das hängt laut Rabe unter anderem damit zusammen, dass sowohl Lehrkräfte und Elternvertreter meist selbst aus „bildungsnahen Elternhäusern“ stammten. Er habe drei Jahre benötigt, damit endlich alle Grundschüler jeden Tag 20 Minuten lesen üben – „wie uns das die Wissenschaft seit Jahren empfiehlt“.
Aus dem Ruhestand ätzt Rabe gegen Lehrer- und Elternverbände. Statt sich für eine Verbesserung der Lerninhalte einzusetzen, hätten diese eher intensiv „für Unisex-Schultoiletten, Geschlechter-Ansprache und Schulobstprogramme“ gefochten.
Womit Rabe vermutlich am wenigsten klarkommt, ist das Verhalten vieler seiner Kultusminister-Kollegen m/w. Mehrere Bundesländer ließen sich zwar mittlerweile von Hamburger Experten beraten. Jedoch: Seine Leute hätten anschließend häufig entmutigt berichtet: „Das wird da nichts, die wollen gar nicht besser werden. Die sagen, die Kinder sind eben so.“
Da Rabe sich zu den schlimmsten Ländern nicht äußern wollte, mutmaßte das Handelsblatt wohl nicht zu unrecht, dass es sich dabei auch um Bremen handele.
Ein Blick zurück auf die vorige Sitzung der Bremischen Bürgerschaft unterstreicht diese Einschätzung. Dort lehnte die lernresistente Koalition von SPD, Grünen und LINKEN den CDU-Antrag ab, nach Hamburger Vorbild Vorschulklassen für Kinder mit sprachlichem Förderbedarf (47 Prozent aller Bremer Kinder!) einzurichten. Die Begründung der Nein-Sager war nicht: haben kein Geld, haben keine Räume, haben keine Lehrer.
Nein, diese ewigen Besserwisser, aber Falschmacher von Rot-Grün-Rot wollen keinen verpflichtenden Sprachunterricht für die massenhaft betroffenen Kinder, weil dies (laut Radio Bremen) die Jungen und Mädchen „ausgrenzen würde“.
Was grenzt diese Kinder in der ersten Klasse wohl mehr aus als das Nicht-Beherrschen der Unterrichtssprache Deutsch?
Der Großteil der ignoranten Bremer Bildungspolitiker ist einfach zum Verzweifeln. Das Ausgrenzungs-„Argument“ wird bereits bei der gut-gemeinten, aber schlecht-gemachten Inklusion permanent überstrapaziert.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Dänemark kämpft gegen unkonzentrierte, mittlerweile weniger empathische und zunehmend aggressive Schüler an. Dafür wird (laut NDR Info) die Digitalisierung de Schulbetriebes zurückgedreht. Papier und Bleistift spielen wieder eine wichtigere Rolle. Bedeutet: Computer nur dann einsetzen, wenn sie punktuell sinnvoll genutzt werden können. Schüler müssen ihre Handys vor Unterrichtsbeginn abgeben; bleiben auch in der Pause weggeschlossen! Zur Erinnerung: Bremen ist stolz wie Bolle, dass seit Corona alle Schüler m/w über ein I-Pad verfügen.
Die BBC berichtete vorgestern, dass die Nutzung von Handys in den Schulen weitestgehend verboten ist. Entweder abgeben oder ausschalten lautet die Devise. London hatte früher die schlechtesten Schulen, jetzt aber die besten. Die Schulen und Lehrer werden regelmässig von der Aufsichtsbehörde Ofsted auf Qualität geprüft.
Die Berichte der Aufsichtsbehörde sind öffentlich einsehbar. Hier das Beispiel der Gesamtschule, an der ich vor rund 40 Jahren unterrichtet habe.
https://reports.ofsted.gov.uk/provider/23/139060
Wie man sieht, diese Schule ist verbesserungswürdig und erhält regelmässig Monitoring Besuche.
Es kommt hinzu: In England gibt es keine mittlere Reife oder Abitur. Es gibt (mit 15/16 Jahren) Prüfungen in verschiedenen Fächern, die GCSE’s heißen oder General Certificate of Secondary Education. Zwei Jahre später werden ‘A Levels’ abgelegt. Diese Prüfungen werden nicht von den Lehrern geprüft, sondern extern von ‘Examination Boards’. Also, wenn jemand Mehmet heißt, wird er nicht (unbewusst) diskriminiert. Es gibt keine Diskussion, ob die Prüfungen in bestimmten Städten leichter sind. Und – auch hier können die Schulen miteinander verglichen werden! Wie viele Kinder die Prüfungen ablegen und wie gut die erreichte Note ist, kann auch eingesehen werden, meine ich.
Man kann aber auch nicht ein System auf ein anderes Land überstülpen. In England haben sie (zumindest damals) den Leitsatz, dass Lehrer während des Tages loco Parentis zu sein. Dass heißt, für die komplette Entwicklung des Kindes verantwortlich zu sein. ‘Pastoral care’ wird ernst genommen. Das geht – vielleicht aufgrund der historischen Erfahrungen mit Diktatur – in Deutschland nicht.
Obwohl ich in Deutschland damals beruflich neu anfangen musste, war ich eigentlich froh. Ich habe nie verstanden, warum sich Deutschland so arrogant überlegen fühlte in Bezug auf das Bildungssystem. Die ersten niederschmetternden Pisa Egebnisse waren ein innerer Parteitag für mich.
Ja, es gibt bestimmt engagiere Lehrer und gute Schulen. Viele Kinder würden gut lernen, egal wo sie zur Schule gehen – sie sind intrinsisch motiviert. Oder die Eltern sind gute Hilfslehrer.
Aber das deutsche System funktioniert nicht in einem Einwanderungsland, wo die Hälfte der Kinder einen Migrationshintergrund hat. Aber diese Kinder sind unsere Zukunft.
Liebe Leserschaft, dies ist kein Kommentar von mir, dem Blogger, sondern die Antwort des Bildungsressorts, die leider erst nach Veröffentlichung dieses Blog-Stückes “hereinkam”.
Die Pressesprecherin des Ressorts, Patricia Brandt, schrieb für die Behörde:
“Gerne antworte ich auf die Anfrage zum Thema Vorschulklassen:
Bremen hat sich gegen die Einrichtung von Vorschulklassen entschieden, unter anderem, weil diese dem Gedanken des inklusiven Schulsystems widersprechen.
Wenn nur die Kinder mit Sprachförderbedarf eine Vorschulklasse bilden – und dabei womöglich sogar aus ihrer gewohnten Lernumgebung in der Kitagruppe herausgelöst werden – birgt das die Gefahr der Stigmatisierung von Kindern mit Sprachförderbedarf und durchbricht das Prinzip der durchgängigen Förderung. Besser ist es, wenn alle Kinder gemeinsam eine Kita besuchen, wo sie nach ihren Bedarfen unterschiedlich individuell gefördert werden. Mit der Forderung nach einer Vorschule wird auch die Fachkompetenz der Erzieher:innen infrage gestellt und Bildung als alleinige Aufgabe Lehrkräften zugeschrieben. Sich mit unterschiedlichen Entwicklungsständen von Kindern auseinanderzusetzen ist aber gerade eine Kernkompetenz von Kita und Erzieher:innen.
Am Ende ist es aber wichtig, dass alle Kinder entsprechend ihren Bedarfen gefördert werden, und nicht der Ort, an dem das stattfindet. Deshalb gehen wir das pragmatisch an und nicht ideologisch.
Freie Hansestadt Bremen
Die Senatorin für Kinder und Bildung
Pressesprecherin”
Soweit die Stellungnahme der Behörde. Wenn Sie den Blog (oben) gelesen haben, brauche ich mich nicht mehr zu äußern. 🙂
Die Ergebnisse der PISA-Studien der OECD zeigen deutlich einen Änderungsbedarf an.
Bezüglich Bremen werden es irgendwann Wahlen richten.
Bis dahin bleiben Bremer Schüler leider abgehängt.
Ein interessantes Interview mit Andreas Schleicher, der als OECD-Bildungsdirektor verantwortlich für die Pisa-Studie ist. Der Deutsche Philologenverband fordert, die Teilnahme Deutschlands an Pisa auszusetzen, solange Schleicher die Studie leitet. Der Grund: seine scharfe Kritik am Berufsstand der Lehrer!
Der Artikel in der „Welt“ ist nicht frei zugänglich, daher hier ein paar Kernaussagen:
Der Lehrerberuf sei in Deutschland sehr gut bezahlt, die Arbeitsbelastung läge im Mittelfeld der OECD Staaten.
Schleicher kritisiert, dass „Schüler in Deutschland oft gut“ seien „bei der Reproduktion von Fertigwissen, aber es schwer haben, ihr Wissen kreativ auf neue Themenfelder anzuwenden.“ Das aber würde heute zählen.
Die Forderung nach Sozialarbeitern in Schulen sei nicht unbedingt zielführend. In vielen erfolgreichen Ländern würden „sich die Lehrkräfte nicht nur als Wissensvermittler, sondern auch als Coach, Mentor und Sozialarbeiter“ begreifen. „Lernerfolg und Disziplin im Klassenzimmer“ seien „immer auch eine Folge der Qualität von Beziehungen“.
Auch wenn man objektiv sehen müsse, „dass Lehrkräfte in Deutschland weniger Gestaltungsfreiheit haben als zum Beispiel in Dänemark oder den Niederlanden“, sei davon auszugehen, dass „sie ihre vorhandenen Freiräume nicht so intensiv nutzen wie die Kollegen in anderen Ländern“.
Der Forderung nach mehr Lehrern hält Schleicher entgegen, dass „Deutschland beim Personal“ nicht schlechter gestellt sei als in leistungsfähigeren Bildungssystemen. „Einfach nur mehr vom Gleichen“ würde nichts bringen.
Antwort auf die Frage, ob in den Verbänden zu viel gejammert würde: „Die Lehrerverbände tun sich damit jedenfalls keinen Gefallen. Wer seinen eigenen Berufsstand ständig infrage stellt, wird sein Ansehen kaum heben“.
Schleicher sieht es als großen Vorteil an, dass wir Bildungsdiskussionen „heute nicht mehr auf Grundlage von Ideologie oder persönlichen Meinungen führen müssen, sondern aufgrund von empirischen Daten“.
https://www.welt.de/politik/deutschland/plus250138876/Schule-Warum-der-Pisa-Studienleiter-mit-Deutschlands-Lehrern-hart-ins-Gericht-geht.html?icid=search.product.onsitesearch
“Ein Blick zurück auf die vorige Sitzung der Bremischen Bürgerschaft unterstreicht diese Einschätzung. Dort lehnte die lernresistente Koalition von SPD, Grünen und LINKEN den CDU-Antrag ab, nach Hamburger Vorbild Vorschulklassen für Kinder mit sprachlichem Förderbedarf (47 Prozent aller Bremer Kinder!) einzurichten. Die Begründung der Nein-Sager war nicht: haben kein Geld, haben keine Räume, haben keine Lehrer.
Nein, diese ewigen Besserwisser, aber Falschmacher von Rot-Grün-Rot wollen keinen verpflichtenden Sprachunterricht für die massenhaft betroffenen Kinder, weil dies (laut Radio Bremen) die Jungen und Mädchen „ausgrenzen würde“.
Bei 12.4 % bundesweiter Dysalphabetiequote, massiven Sprach/Ausdrucksproblemen eine unglaubliche Realsatire als Begründung!
Bei einer solchen “Begründung” hätte der griechische Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Aristoteles geantwortet:”„Es gibt nur einen Weg, um Kritik zu vermeiden: Nichts tun, nichts sagen, nichts sein..”