Für den Frieden, gegen den Krieg – offener Brief bekannter Sozialdemokraten an Olaf Scholz

24.02.2024 18 Von Axel Schuller

Zwei Jahre nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine haben mehrere bekannte Bremer Sozialdemokraten Mut gefasst und ihre vom Mainstream abweichende Meinung an Bundeskanzler Wolf Scholz (SPD) in Form eines Offenen Briefes geschrieben. Unterschrieben haben: Arno Gottschalk (Bürgerschaftsabgeordneter), Willi Lemke (Ex-Werder-Manager, Ex-Senator und Ex-UN-Sonderbeauftragter für Sport), Joachim Schuster (Abgeordneter im Europaparlament), Carsten Sieling (Ex-Bürgermeister) und Reinhold Wetjen (SPD-Landesvorsitzender). Hier sehen Sie, liebe Leserschaft, dieses Dokument, über das In Bremen lediglich Radio Bremen (“butenunbinnen um 6”, am 23.2.) berichtet hat.

Sehr geehrter Bundeskanzler Scholz, lieber Olaf,
der Überfall Russlands auf die Ukraine jährt sich am kommenden Samstag zum zweiten Mal. Auch wenn die Entwicklungen an der Frontlinie weiterhin nur mit Einschränkungen zu
beurteilen sind, so deuten die verfügbaren Informationen doch darauf hin: die ukrainischen
Streitkräfte befinden sich ni der schwierigsten Situation seit dem Beginn des Krieges vor zwei Jahren.

Die mit großen Erwartungen verknüpfte Gegenoffensive, mit der die russisch besetzen Gebiete zurückerobert werden sollten, ist gescheitert. Und nicht nur das. Sah es lange Zeit nach einem Stellungskrieg aus, bei dem keine der beiden Seiten nennenswerte militärische Fortschritte erzielen konnten, so hat sich das Bild zuletzt zuungunsten der Ukraine gewandelt. Den Medien lässt sich entnehmen, dass die russischen Truppen wieder zum Angriff übergegangen sind und zumindest an Teilen der Fronten Geländegewinne erzielen.

Vor allem der Kampf um besonders umkämpfte Stellungen und Städte ist dabei von einem immens hohen Blutzoll begleitet. Auch wenn keine konkreten Zahlen veröffentlich werden, müssen wir davon ausgehen, dass ni diesem Krieg bisher mehrere 100.000 Soldatinnen auf beiden Seiten schwer verwundet oder getötet worden sind und mit jedem weiteren Tag Hunderte von Soldatinnen ihr Leben verlieren oder grausam verstümmelt werden. Die materiellen Schäden sind ebenfalls desaströs.

Die Ukraine wurde und wird von Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten wie
auch der USA militärisch massiv unterstützt, damit sie diesen Krieg nicht verliert. Die Unterstützung seitens der USA ist infolge der innenpolitischen Blockade durch die Republikaner ni letzter Zeit nahezu versiegt. Die Hoffnung richtet sich deshalb umso stärker auf eine Fortsetzung und Ausweitung der Hilfe seitens der europäischen Länder. Aber auch dort werden Grenzen sichtbar. Die EU-Staaten haben zwar jüngst auch durch Deinen Einsatz ein eindrucksvolles finanzielles Hilfspaket verabschiedet. Bei der aktuell viel dringenderen Lieferung von Artilleriemunition werden die Zielmarken der angestrebten Hilfen aber weit verfehlt. Gleichzeitig zeichnet sich immer deutlicher ab, dass es der Ukraine nicht nur an Waffen und Munition mangelt. Wie die intensivierten Rekrutierungen und die Pläne für erweiterte Mobilisierungen ni der Ukraine signalisieren, fehlen der ukrainischen Armee nach den immens hohen Verlusten inzwischen vielerorts Soldaten.

Gegen diese bedrohlichen Entwicklungen werden keine neuen „Wunderwaffen” wie die
„Taurus-Marschflugkörper helfen. Selbst wenn diese die russische Raketenabwehr überwinden und punktuelle Schäden im Rückraum der russischen Truppen verursachen, werden sie kaum Einfluss auf die Verläufe an der militärischen Front haben. Viel eher ist zu befürchten, dass sie eskalierend wirken und harte Vergeltungsschläge durch russische Raketen auslösen. Wir begrüßen daher ausdrücklich deine besonnene Haltung zur Lieferung dieser Waffe.

Statt weiterhin nur auf militärische Hilfen zu setzen, ist es deshalb höchste Zeit, diplomatische Initiativen zu verstärken, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Weiterhin darauf zu orientieren, der Ukraine erst zu einer militärisch vorteilhaften Position für Verhandlungen zu verhelfen, ist angesichts der militärischen Lage keine realistische Alternative.


Nicht nur bei den Waffen, auch und gerade in der Frage der Diplomatie kommt es jetzt mehr denn je auf die Europäer an. Deutschland sollte deshalb energisch gemeinsam mit Frankreich sein politisches Gewicht einbringen, um gemeinsam mit anderen Staaten wieetwa China, Indien, Brasilien und Südafrika den politischen Druck auf Russland erhöhen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Und ebenso muss Deutschland seinen Einfluss aufdie Ukraine nutzen, damit die ukrainische Regierung zu Verhandlungen ohne unrealistische Vorbedingungen bereit ist.


Wir leben in bedrohlichen Zeiten und wir erleben wahrlich eine Zeitenwende. Umso notwendiger ist es, dass die Sozialdemokratie – aufbauend auf ihrer umfassenden entspannungspolitischen Tradition – politische Alternativen zu einer brandgefährlichen und einseitig auf militärische Konfliktlösungen und Aufrüstung setzende Politik aufzeigt und Schritt für Schritt umsetzt. Wir brauchen eine aktualisierte Politik der „Gemeinsamen Sicherheit”, die auch die Herausforderung der globalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Klimawandels und der Reduzierung von Armut im Blick hat. Wir brauchen neue Anstrengungen zu europäischer Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir fordern Dich als Bundeskanzler auf, entsprechend initiativ zu werden.”

Arno Gottschalk, Willi Lemke, Joachim Schuster, Carsten Sieling, Reinhold Wetjen