Opposition aufgewacht! Experte: Baubehörde behindert Bau benötigter Wohnungen

03.03.2024 6 Von Axel Schuller

Handwerkskammer, Handelskammer, Arbeitnehmerkammer sowie Opposition von CDU, BD, FDP – wo bleibt der Aufschrei? Wer von Ihnen macht Druck auf die rot-grün-rote Koalition, übertriebene Verordnungen zu entschlacken? Bremens aktuell wichtigster Investor beklagt zu lange Zeiträume, bis er bauen darf. Reaktion: Null. Der „Interhomes“-Gründer rechnet vor, dass behördliche Verzögerungen den Preis für ein Ein-Familienhauses um fast 100.000 Euro in die Höhe schrauben. Reaktion: Null. „butenunbinnen“ berichtet, dass auch die hohen staatlichen Baustandards zu Kaltmieten von 18 bis 20 Euro pro Quadratmeter führen. Reaktion: Null.

Liebe Leserschaft, so allmählich geht mir ein bisschen der Glaube an die Funktionsweise unseres Gemeinwesens verloren.

Die Alarmrufe aus der Baubranche tauchen seit Monaten regelmäßig auf – und verhallen

Das war’s dann? Könnte es sein, dass die Vertreter der eingangs genannten Institutionen es sich bequem eingerichtet haben? Muckelig warme Büros und eigener ordentlicher Lebensstandard sind ja nicht als die besten Antreiber bekannt. Und Opposition ist immer bequemer als Regierung – man muss sich nicht zwingend an der Wirklichkeit aufreiben.

Das beim Thema Baubehörden etwas im Argen liegt, geben beteiligte Politiker in Bremen und im Bund – indirekt – zu. So will der Bund den rechtlichen Rahmen ändern, damit zumindest die Bundeswehrschneller bauen“ kann. Warum eigentlich nur die? Putin als heimlicher Baubeschleuniger? Weiterer Beleg für die Behörden-Misere: Bremen gründet eine „Stadtentwicklungsgesellschaft„. Eine Zielsetzung lautet, die neue städtische Gesellschaft solle „Ankäufe und Entwicklungen zeitnah durchführen“.

Ich könnte an dieser Stelle wild herum polemisieren. Will ich nicht. Das Ziel lautet nämlich: „Bremen benötigt dringend 10.000 bezahlbare Wohnungen“. Mein (selbst gewählter) Part: Ich lege Ihnen die verfügbaren Fakten vor. Außerdem habe ich Experten, wie „Interhomes“-Gründer Karl H. Grabbe, um seine Expertise gebeten.

Die Fakten: Bauen ist in den vergangenen Jahren rasend teuer geworden. Dafür sorgen nicht nur die wieder steigenden Zinsen. Sondern auch viele Fesseln, die Bremen den Bauwilligen angelegt hat. Übrigens: Solange wir ein Bundesland sind, hätte Bremen die Möglichkeit, viele landesspezifische Fesseln – ratz-fatz – wieder zu lösen. Die Bürgerschaft muss es bloß wollen

Radio Bremen listete jüngst Teuerungsarten auf: Dämmplatten: plus 40 Prozent. Flüssig-Beton: 41 Prozent. Arbeitskosten: 12 Prozent.

Sind diese Kennziffern bereits erschreckend, haut vor allem das zu langsame Behördenhandeln auf der Kostenseite rein.

Bremen aktuell agilster Investor, Dr. Klaus Meier (Kellogg’s-Gelände), „bettelte“ jüngst öffentlich, die Behörden sollten endlich effektiver und damit schneller werden. „Bis wir eine Baugenehmigung erhalten, vergeht ein Jahr. Das ist zu lang.“ Sein Vorschlag: Die Baubehörde solle in jener Art umstrukturiert werden, wie vor Jahren das Arbeitsamt zur Agentur für Arbeit.

„Interhomes“-Gründer Karl H. Grabbe hatte bereits vor Wochen moniert: Stadtplanungs– und Baugenehmigungsverfahren dauern mindesten drei Jahre.

Bedeutet: Kauft ein Investor Grundstücke, um dort später zu bauen, läuft umgehend die Zinsuhr. Drei Jahre lang mit aktuell jeweils etwa 7 Prozent. In dieser Zeit steigen natürlich auch Material- und Arbeitskosten.

Ich habe den „Baumeister“ (früher mit besonderer Prüfung verbunden) Karl Grabbe gebeten, aus der Praxis zu berichten.

Hier seine Anmerkungen in Auszügen:

„Auf einer antiken Uhr in der Eingangshalle des Rathauses ist zu lesen:

Die Zeit ist heilig“ 

Die Zusatzkosten durch administrative und politische Vorgaben und Einflüsse, die zur Verteuerung des Wohnungsbaus führen, teilen sich in 2 Gruppen:

a) variable Kosten

Kosten, die durch Zeitablauf steigen. Dies betrifft insbesondere Zinsen, Tilgung und Baukostenerhöhungen. Hier ist zu unterscheiden zwischen dem städtebaulichen Kostenaufwand für die Erstellung/Änderung eines Bebauungsplanes, bei der ca. 100 Träger öffentlicher Belange zu Wort kommen. Dazu gesellen sich Kosten für das Baugenehmigungsverfahren einschließlich Vor-Anfrage, behördliche Abstimmung und Erstellung der Baugenehmigung (eventuell mit kostenträchtigen Auflagen).

Rechnerisch sind für die Finanzierung des Grundstückes 6% Zinsen (Ankaufskredit) und 1% Tilgung, insgesamt 7 %, zugrunde gelegt. Die Baukostensteigerung ergibt sich aus 2023.

Beispielrechnung: Reihenhaus, 100 Quadratmeter Wohnfläche, Kaufpreis 400.000 Euro

Der Preis des Hauses setzt sich zusammen aus:

30% Grundstück und Erschliessung 120.000,- Euro

70% Baukosten incl. technischer Abwicklung 280.000,- Euro

Mehrkosten durch 3-jähriges Stadtplanungs- und Genehmigungsverfahren:

Zinsen für Finanzierung Grundstück: 3 Jahre / je 7% 25.200,- Euro

Baukostensteigerung: 3 Jahre / Durchschnitt 8%/ je Jahr              67.200,- Euro

Kosten für Stadtplanungsverfahren  

und Baugenehmigungsdauer / mind. 3 Jahre                             92.400,- Euro gesamt

Davon 1 Jahr für Baugenehmigungverfahren  (=1/3)                    30.800.- Euro

Vor 50 Jahren beschränkte sich ein Bauantrag auf Bauantragsformular, Zeichnungen, Baubeschreibung, Wärmebedarfsberechnung und statische Berechnung. Heutzutage ist es ein ganzes Buch, das den Behörden für eine Baugenehmigung vorgelegt werden muss.

b) Fixkosten

Zusätzliche Verteuerungen durch technische und planerische Auflagen:

KostenpositionMehrkosten/Wohneinheit
Wärmepumpe       20.000,00 € 
Photovoltaik       10.000,00 € 
KfW 40 – Standard       15.000,00 € 
Fassadenverblendung       15.000,00 € 
Übertriebener Lärmschutz         3.000,00 € 
Freiflächen laut Bremer Standard         3.000,00 € 
Summe       66.000,00 € 

c) nicht erfasste Kosten und andere Einflüsse

Werden in Bremen Reihenhäuser im Einzel-Eigentum gebaut, dann sind gesonderte Spielplätze nicht erforderlich. Werden diese Häuser in Form des „Wohnungseigentums“ gebaut (das ist wegen gemeinsamer umweltgünstiger Heizanlagen oft notwendig), dann werden getrennte Spielplätze vorgeschrieben, die zusätzliche Grundstücksfläche erfordern. Diese Kosten sind besonders fragwürdig, da nach dem Bezug der Neubauten erfahrungsgemäß die Spielplätze maximal 15 Jahre genutzt werden bis (altersbedingt) neue Erwerber für ihre Kinder etwa 20 Jahre später wieder vorübergehend ein Spielplatz benötigen.

Weshalb diese Spielplätze nicht, wie in der Vergangenheit, auf den Grundstücken der Reihenhäuser zulässig sind, ist unbekannt. Die Arbeitsgemeinschaft der freien und privaten Wohnungsunternehmen (ARGE) hat diese Vorschrift im Vorfeld kritisiert, konnte sich aber gegen die Behörden nicht durchsetzen.

Zusätzliche Kosten in erheblichem Umfang entstehen außerdem, weil aus „ästhetischen Gründen“ Carports, Einstellplätze oder Garagen in Vorgärten vor Reihenhäusern stadtplanerisch nicht mehr geduldet werden. Je Haus entstehen hier Zusatzkosten für einen Abstellplatz (15 m² plus Zuwegung je Einstellplatz: geschätzt 10-12 m² anteilig). Da die Parkplätze oft auf der Rückseite von Reihenhäusern hinter dem Gartenbereich vorgesehen werden, bedeutet dies: Nächtliche Störungen unter den rückwärtigen Schlafzimmern, wenn Autotüren zugeknallt werden.

Da in Bremen seit kurzem Einstellplätze für nur 80 % der Wohneinheiten zulässig sind, erhöhen sich außerdem die Vertriebskosten für Häuser, die ohne Stellplatz gebaut werden. Häuser ohne Parkplatz lassen sich schlechter verkaufen. Die Käufer müssen nämlich mit einem später niedrigeren Wiederverkaufswert rechnen. Die Banken haben auf die neue Entwicklung bereits reagiert – sie senken in diesen Fällen den Beleihungswert ab.

Wegen der vorab dargestellten Kostensteigerungen entstehen weniger Neubauten. Dazu kommt: Die Banken wenden bei der Finanzierung aktuell erheblich restriktivere Regeln an. Waren vor 2 oder 3 Jahren noch Finanzierungen bei guter Bonität ohne Eigenanteil möglich, so verlangen viele Banken heute mindestens 30 % Eigenanteil. Das schränkt den Kreis der potentiellen Erwerber noch einmal erheblich ein.

Kosten erhöhen sich je nach Einzelfall auch durch verlängerte Planungsfristen, durch Wettbewerbe und für zeitaufwändige Ausstellungen der Planungsbehörden sowie durch Zeitaufwand in Beiräten.

Viel Zeit wird dadurch vertan, dass die Behörden den Modetrend der „Tiny-Häuser“ durchsetzen wollen. Dafür werden zeitaufwändig Grundstücke gesucht und für diesen speziellen Haustyp beplant.

Dabei gilt weiterhin die alte Regel: Je weniger Quadratmeter Grundstück für 1 m² Wohnfläche benötigt werden, um so umweltfreundlicher ist die Bauweise. Mehrgeschossiger Wohnungsbau ist den Tiny-Häusern in die Disziplin deutlich überlegen.

Versorgung, Postzustellung, Heizwärme, Wasser usw. Entsorgung, Kanal, Müllabfuhr usw., Verkehr, CO2 Belastung usw. steigen mit der Fläche quadratisch und nicht, wie von Stadtplanern oft angenommen, linear. Die Verdrängung dieses mathematischen Zusammenhangs führt zu hoher Umweltbelastung durch bedarfsunabhängige Planung.

Neue Vorgaben für Stadtplaner und eine Entschlackung statt ständig neuer restriktiver Vorschriften (zum Beispiel der „Bremer Standards„) sind erforderlich, um den Wohnungsbedarf der Zukunft zu vertretbaren Preisen zu decken. Fachkreise nehmen für die normale Familie mit mittleren Einkommen das 3,5 – 5,7-fache Jahresnettoeinkommen als tragbar an – unter normalen Finanzierungsbedingungen.

Aus Kreisen der Wohnungswirtschaft wird kritisiert, dass Behörden im Planungsverfahren versuchen, planerische Wunschvorstellungen bis zur Fassadengestaltung und dem verwendeten Material vorzuschreiben, statt Ziele wie: Landverbrauch, geringe Umweltbelastung und Käufer-Einkommen in den Vordergrund zu stellen. Es gibt in Bremen genug fähige Architekten. Deren Arbeit muss nicht von Angestellten der Stadtplanung durch Vorgaben gesteuert werden!

Allzu oft entsteht der Eindruck, dass die Planungshoheit des Staates genutzt wird, um etwas zu erzwingen, was am Ende nicht verkauft werden kann. Wenn staatliche Planungsvorgaben keine Rückkopplung mehr in die wirtschaftliche Wirklichkeit haben, dann entsteht – wie zur Zeit – eine Unterversorgung mit Wohnungen. Dass letztlich der Endverbraucher die Mehr-Kosten aufgrund planerischer Verzögerungen tragen muss – spielt in der Behörde offenbar keine Rolle.“

Soweit Karl Grabbe. Vielen Dank dafür!

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Aktuell, liebe Leserschaft, ruht alle Hoffnung der Bremer Baubranche auf Bremens neuer Bausenatorin Özlem Ünsal (SPD). Die Frau ist offenbar gewillt, übertriebenen Öko-Quatsch ihrer Vorgängerin Dr. Maike Schaefer (Grüne) abzuräumen. Da wird sie eine Menge zu tun haben. Zumal Ünsal ja zusätzlich die verrottete Infrastruktur – Brücken, Straßen, Radwege – auf Vordermann bringen muss. Folgen der Anti-Verkehrspolitik, die Grüne Verkehrs-und Bausenatoren m/w Bremen in den vergangenen 16 Jahren eingebrockt haben.

Munter bleiben!

Herzlichst

Ihr Axel Schuller

P.S.: Ich freue mich auch zu diesem „Bau-Stück“ auf Ihre Kommentare. Bitte beachten Sie: Zum FriedensAppell der fünf bekannten Bremer Sozialdemokraten (Lemke, Schuster, Sieling, Wetjen und Gottschalk) sind nachträglich interessante Kommentare reingekommen. By the way: Der Weser-Kurier hat bis heute aus unerfindlichen Gründen über diesen offenen Brief an den Kanzler mit keinem Sterbenswörtchen berichtet. Will der Laden seiner Informationspflicht demnächst nur aufgrund drohender Abo-Kündigungen nachkommen?