Bürgerschaftsabgeordnete wollen im Alter wieder mehr Geld kriegen als Normalbürger
Spaaaanend: Der mächtigste Ausschuss der Bremische Bürgerschaft berät am Freitag, 15.3., ob die Abgeordneten das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen. Es geht um die Altersversorgung der Volksvertreter. 2010 hatte das Parlament einen lichten Moment, wollte sich bewusst nicht länger besser stellen als die Mehrheit der Wähler. Daraus resultierte eine Änderung der Rentenansprüche – weg vom Beamten-ähnlichen Pensionssystem (in der Spitze bis zu 72 Prozent des letzten Einkommens) hin zu einer halbwegs normalen (also deutlich niedrigen) Altersversorgung. Doch das ist den Bürgerschaftsabgeordneten zu wenig. Sie wollen wieder mehr.
Was man menschlich verstehen kann (wer wollte nicht mehr von allem haben), hat natürlich ein Geschmäckle, weil die Parlamentarier jede Änderung (für sich) selbst beschließen müssen. Damit man eine „objektive“ Grundlage fürs eigene Tun erhält, hat die Bürgerschaftsverwaltung einen Gutachter eingeschaltet.
Philipp Austermann, Professor für Staatsrecht. Die Vita des Unabhängigen durfte die Bürgerschaft zumindest auf Mitgefühl hoffen lassen. Austermann war vor seinem Ausflug ins Professorale als Jurist in der Bundestagsverwaltung tätig. Da erfährt man die Nöte von Abgeordneten.
Das merkt man dem aktuellen Gutachten förmlich an.
Zuvor die Fakten: Bremische Bürgerschaftsabgeordnete sind laut Gesetz Halbtagsparlamentarier, damit sie – prima Gedanke – weiterhin halbtags im angestammten Job tätig sein können, also den Kontakt zur Wirklichkeit behalten.
Erhielten Bremens Abgeordnete früher eine steuerfreie Diät, eine zu versteuernde Pauschale für ihren besonderen Aufwand, Sitzungsgelder für die Teilnahme an der Landtags-, Fraktions-, Deputatinssitzung und so weiter, kam 2010 ein radikaler Schnitt. Seitdem erhält jeder Abgeordneter eine zu versteuernde Aufwandsentschädigung von (aktuell) 5.698,45 Euro – für ihre (offiziell) Halbtagsbeschäftigung.
Die alte Altersversorgung, die nach Dauer-Zugehörigkeit im Parlament nahezu 72 Prozent betrug, wurde auf private Beine gestellt: Aktuell erhält jeder Abgeordnete monatlich 932,54 Euro, die man für eine private Altersvorsorge verwenden muss.
Dieses System stößt in den Reihen der Abgeordneten zunehmend auf Verärgerung: Es verschlechtert die zu erwartende Rente im Vergleich zum alten System maßgeblich.
Der mitfühlende Gutachter Austermann schreibt in seinem Werk, ein Bremer Abgeordneter habe aktuell nach vierjähriger Parlamentszugehörigkeit bloß einen Anspruch auf eine monatliche Rente von 120-130 Euro. Dabei beruft er sich auf „Angaben von Abgeordneten gegenüber der Bürgerschaftskanzlei“.
Was Austermann und andere womöglich außer Acht lassen, ist, dass es jedem Abgeordneten freisteht, die von der Bürgerschaft zur Verfügung gestellten 932 Euro aufzustocken. Beispielsweise aus seinen Diäten.
Ferner bezieht sich der Prof. (nach meiner Recherche) lediglich auf die von Privatversicherern „garantierte Rente“. Hinzu kommt jedoch beim Erreichen des Rentenalters die „Beteiligung am Überschuss“.
Zur Info des Geschäftsordnungs– und Verfassungsausschusses der Bürgerschaft, der morgen tagen wird, ein Rechenbeispiel.
Ein Leser hat mir freundlicherweise seine persönlichen Finanzdaten zur Verfügung gestellt. Er schreibt:
„Ich habe von 2007 bis 2021 eine Basisrente angespart. Ab 2015 wurde mir dabei Angst und Bange. Die Zinsen in der Ansparphase ließen auf eine später dürftige Rente schließen.
In den 14 Jahren hatte ich etwa 100.000 Euro eingezahlt, aus denen sind letztlich 160.000 Euro geworden. Diesen Betrag habe ich in eine Sofort-Rente umgewandelt.
Aktuell beziehe ich daraus monatlich 498 Euro Garantierente und 164 Euro aus der Überschussbeteiligung. Auf das ganze Jahr gerechnet entspricht das einer jährlichen Verzinsung von ca. 5% des eingelegten Kapitals. Das finde ich okay.“
Soweit der Bericht aus der Wirklichkeit.
Gutachter Austermann empfiehlt der Bürgerschaft nun ein System, dass Abgeordneten nach drei Legislaturperioden (12 Jahre) eine Rente von 24 Prozent der Diät, also aktuell von 1.367,63 Euro verspricht.
Dabei orientiert er sich an den Versorgungssystemen von Schleswig-Holstein und McPo, die ebenfalls Haushaltsnöte hätten. Außerdem säßen dort ähnlich wenige Abgeordnete im Parlament.
Sorry, jetzt kommen mir gleich die Tränen.
In SHS sitzen 69 Abgeordnete im Landtag, sind jedoch für 2,9 Millionen Menschen zuständig. In McPo sind es 79 Abgeordnete für 1,6 Millionen Bürger.
Unser Bremchen leistet sich 87 Abgeordnete für sind es 684.864 Bürgerinnen und Bürger; im Saarland sind es 51 Parlamentarier für 992.666 Bürger m/w.
By the way ein weiterer Hinweis aus der Wirklichkeit: Ein Arbeitnehmer muss (laut Bundesarbeitsministerium) ein Arbeitsleben lang 2.800 Euro brutto verdienen, um auf eine Rente von 1.300 Euro zu kommen.
Nahezu mitfühlend gibt sich der Gutachter noch auf anderem Feld. Die (Bremer) Abgeordneten seien durch Anfeindungen in „sozialen Medien“ persönlich sehr belastet.
Ach Gottchen, jetzt bemüht der Gutachter auch noch die „Mimimi–Ebene“, um mehr für die Abgeordneten herauszuholen.
Statt an der Abgeordneten-Versorgung herumzuschrauben sollte der Bremische Gesetzgeber im Bundesrat seine Rolle als Land nutzen, um endlich die maßlos hohen Pensionsregelungen für Beamte und Regierungsmitglieder (max. fast 72 Prozent) auf ein Normalmaß zu reduzieren.
Bis es soweit (also nie) ist, können die Bremer Abgeordneten ja einen Teil der Halbtagsdiäten auf die zur Verfügung gestellten 932 Euro draufpacken, um so später mehr Geld zu erhalten.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
P.S.: Nach geltendem Recht dürfen Abgeordnete, die neben dem Mandat weiterhin halbtags abhängig beschäftigt sind, die Beiträge des Arbeitgebers zur Rentenversicherung nicht selbst aufzustocken (Sozialgesetzbuch 6, Paragraf 7). Auch diese unsinnige Regelung kann Bremen, solange es noch ein Bundesland ist, im Bundesrat zur Änderung vorlegen.
Danke für diese Transparenz.
Ein Selbstbedienungsladen ohne Ende – ohne jegliche Leistungserfassung.
Wenn die Parteien der Mitte nicht so egozentrisch ihr eigenes Portemonnaie im Blick hätten (und für ein Feierabendparlament wird es ja trotzdem sehr, sehr üppig gefüllt) , dann wäre auch hier Maß halten das Gebot der Stunde und könnte den Verdruss der Wähler ob dieser Selbstbedienungsmentalität vielleicht ein wenig verlangsamen. Auch dieses Verhalten des Bremer Parlaments trägt aus meiner Sicht dazu bei, dass politische Strömungen links und rechts außen profitieren.
Auch wenn augenscheinlich (zumindest noch halbtags) angestellte Abgeordnete keine Zusatzbeiträge bei der DRV einzahlen dürfen, können sie aber ihre Pensionserwartungen an dem orientieren, was sie bei Zahlung von 932 € monatlich an Rentenpunkten bei der DRV bekommen würden. Für 8.024 € konnte man in 2023 einen Entgeltpunkt bei der Deutschen Rentenversicherung erwerben. Der hatte in 2022 einen Gegenwert von 36 € Monatsrente. Ein Abgeordneter kann mit seinen Beiträgen von knapp 45.000 € in einer Wahlperiode knapp 6 Entgeltpunkte und damit einen monatlichen Rentenanspruch von ca. 200 € erwerben. Nach 12 Mandatsjahren käme er dann auf einen monatlichen Rentenanspruch von ca. 600 €. Aber nicht auf 1.367 €, wie bei dem von Herrn Austermann errechneten Modell. Das ist natürlich nur eine grob überschlägige Rechnung, sie weist aber die Richtung für das, was angemessen wäre, wenn sich unsere Abgeordneten nicht überdreist gegenüber den Normalbürgern privilegieren wollten.
Nils Koerber hätte, so meine ich, gut daran getan, vor dem Versenden doch noch einen Blick auf seinen allzu schwungvoll geschriebenen Kommentar zu werfen: Der Kunstliebhaber und frühere Vegesacker Geschäftsmann sollte eigentlich wissen, dass es sich bei der Bremischen Bürgerschaft – in anderen Bundesländern Landtag genannt – nicht um ein „Feierabendparlament“ handelt. Nach „Feierabend“ kommen vielmehr die Ortsbeiräte zusammen, deren Mitglieder in Bremen ehrenamtlich tätig sind und sich in unterschiedlicher Weise um die Angelegenheiten des jeweiligen Stadtteils kümmern.
@Thomas Pörschke: Ich könnten mir vorstellen, dass Herr Körber denkt, die Aufgaben der Bremer Bürgerschaft könnten auch preiswerter und genauso gut durch ein Feierabendparlament wahrgenommen werden. So ist der Webseite der SPD Köln-Porz zu entnehmen, dass in Köln Ratsmitglieder eine monatliche Aufwandsentschädigung von 530,40 Euro und pro Teilnahme an einer Sitzung ein Sitzungsgeld von 25,50 Euro erhalten. Die sind also ungefähr für 10-15% dessen tätig, was unsere Bürgerschaftsabgeordneten bekommen, von irgendwelchen Pensionsansprüchen ganz zu schweigen. Ob unsere MdBBs das 9-10fache an Aufwand für ihr Amt gegenüber Kölner Ratsmitgliedern betreiben, darf bezweifelt werden. Und dass sich unsere MdBB mit sehr viel anspruchsvolleren Themen befassen müssen, darf auch bezweifelt werden. Ich erinnere nur an so Triggerthemen wie Martinistraße, Wallring und Platanen. Die hätte auch ein ehrenamtlicher Gemeinderat behandeln können.
Bei den genuin landespolitischen Kompetenzen (Polizeigesetze, Schul- und Bildungspolitik, etc.) bietet sich an, einen Geschäftsbesorgumgsvertrag vulgo Staatsvertrag mit Niedersachsen zu schließen. Es käme weniger Unsinn dabei raus und es wäre billiger. Ironie aus.
@Thomas Pörschke: Wenn Sie die Begrifflichkeit eines Feierabendparlaments „formal“ auslegen, haben Sie vermutlich Recht. Mir geht es darum deutlich zu machen, dass das Mandat als MdBB bei vermutlich guter Eigenorganisation und Fokussierung keine 40 Stunden in der Woche benötigt. Und selbst wenn, was dann möglicherweise an einem selbst liegt, mit der aktuellen Honorierung ja wirklich gut bezahlt ist. Wer von den MdBB könnte das vergleichbar in einer anderen Aufgabe mit den Freiheiten identisch erzielen? Da geht in meiner Wahrnehmung möglicherweise die Relation verloren. Und als sehr unglücklich empfinde ich, dass die Gehälter und Zulagen selbst entschieden werden. Da ist ein Gutachten (was auch noch wieder Steuergelder kostet) keine Legitimation.
Der ursprünglich kabarettistische Vorschlag des Kölners Jürgen Becker (Mitternachtsspitzen) ist m.E. völlig berechtigt, dass man den prozentualen Anteil der Nichtwähler, die offensichtlich nicht politisch bzw. parlamentarisch vertreten werden wollen, real von den Soll-Parlamentssitzen abziehen sollte. Die Hälfte wäre in der Bremischen Bürgerschaft auch genug. Zudem muss man die Abgeordnetenbezüge immer mit 2 multiplizieren, da es kein Vollzeit-, sondern nur ein Halbtagsparlament ist. Gerade einige führende Oppositionspolitiker nutzen doch (ohne jeden spürbaren, echten Regierungsanspruch) die pekuniären Vorteile, neben der (lästigen) Politik gut bis sehr gut in ihren eigentlichen Berufen zu verdienen. Anderen wird das sonst eher prekäre Privatleben ohne irgendeinen Hauptberuf (teils ohne eine abgeschlossene Ausbildung) erst ermöglicht, weil der Bürgerschafts-Job so verhältnismäßig großzügig vergütet wird.
Auf Dauer verspielt das (Noch-) Bundesland Bremen seine bundespolitische Existenzberechtigung. Wir wirken ja jetzt schon wie eine bloße Kommune, die mit ihren originären kommunalen Aufgaben schon überfordert ist.
Als Herr Kau noch Abgeordneter war, ist er mit mit diesem Vorschlag nicht aufgefallen….
In der Sache: Die 2011 eingeführte kapitalbasierte Altersvorsorge sollte das gleiche Ergebnis bringen, wie die bis dato geltende – und für ältere Abgeordnete weiter geltende – Versorgung. Das hat sich nicht erfüllt. Das neue System erbringt nur die Hälfte der anvisierten Leistung, so dass wir gegenwärtig bei der Altersversorgung ein Zweiklassensystem haben. Das verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der gleichen Entschädigung/Versorgung von Abgeordneten und muss daher verändert werden.
Was die Höhe betrifft: Es lässt sich herrlich darüber räsonieren, dass es nur um „Halbtagsabgeordnete“ geht. Damit verbindet sich die Vorstellung einer 20-Stunden-Woche. Tatsächlich liegt meine Stundenzahl immer über 50 und mehr. Damit ich das während meiner beruflichen Zeit überhaupt möglich war, habe ich die Arbeitszeit auf 10 Stunden pro Woche reduziert. Im Ergebnis ist meine Altersversorgung inklusive derjenigen als Abgeordneter niedriger, als wenn ich mich auf meinen Beruf konzentriert und die Politik gemieden hätte.
Herr Schuller hätte das alles recherchieren können. Wir kennen uns hinreichend. Aber die Verlockung, beim Thema Abgeordnetenentschädigung die üblichen Reaktionen zu erzeugen, war wohl größer. Schade.