Rentner drängen auf Inflationsausgleich / Schweiz führt „13. Rente“ ein / Steht Alten-Demo bevor?
Im Land Bremen leben rund 180.000 Frauen und Männer über 60 Jahre. In der praktischen Politik spielen die „Alten“ aber kaum eine Rolle. Es gibt zwar eine vom Senat anerkannte „SeniorenVertretung“, aber die hat im Grunde nix zu sagen. Passend dazu: Gerade hat die Bremer Regierungskoalition einen CDU-Gesetzentwurf zur rechtlich gesicherten Teilhabe von Senioren verhindert. Die Forderung der Seniorenvertretung, auch Rentnern endlich einen Inflationsausgleich auszuzahlen, verpuffte – auch in den Medien – ungehört. Kleiner Denkanstoß am Rande: In der Schweiz wurde jüngst – per Volksabstimmung – eine 13. Rentenzahlung im Jahr beschlossen.
Es gibt Meldungen, die triggern mich. Jüngst war zu lesen: „Mit der Rentenerhöhung um 4,57 Prozent zum 1. Juli wachsen die Renten stärker als die Inflation.“
Wenn man die aktuelle Inflationsrate von 2,2 Prozent anschaut, stimmt das zwar. Aber sobald man an das vorige Jahr mit horrenden Preissteigerungen denkt, reichen die 4,57 Prozent bei weitem nicht aus. 2023 mussten viele Rentner zu den „Tafeln“ für Bedürftige gehen, weil sie sich Gemüse, Milch, Obst und manche Dienstleistung nicht mehr leisten konnten.
Für Verdruss unter besonders armen Rentnern sorgt, dass das Bürgergeld in 2024 um 12 Prozent erhöht wurde, die Rentensteigerung Mitte des Jahres aber wesentlich geringer ausfällt.
Man sagt zwar, den künftigen Rentnern werde es schlechter gehen als den heutigen. Das mag bei dem in finanziell schwere See steuernden Rentensystem so sein. Aber auch heute schon betrug 2021 die Durchschnittsrente eines Mannes (West) gerade mal 1.218 Euro. Frauen (West) erhielten im Schnitt sogar nur 809 Euro.
Das durchschnittliche Einkommen eines pensionierten Beamten betrug 2.600 Euro. Österreich hat mittlerweile alle Rentensysteme zusammengelegt. Auch für Selbstständige. Die durchschnittliche Rente im Nachbarland beträgt aktuell 2.174 Euro – allerdings bei höheren Beiträgen.
Die SPD-Arbeitsgemeinschaft 60plus in Bremen-Nord fordert aktuell, Rentner müssten besser gestellt werden. Aufgrund ihrer überwiegend niedrigen Einkommen litten sie mehr als andere Menschen unter rasanten Preissteigerungen. Die Nord-Bremer SPD-60plus-Politiker weisen darauf hin, dass Rentner in vielen europäischen Ländern deutlich besser gestellt seien.
Als Beispiele führen sie an:
Schweden (Zusatzrente im Dezember); Norwegen (Zusatzrente im November); Italien (Weihnachtsgeld zum Jahresende); Schweiz (nach Volksabstimmung 13. Rente ab 2024); Luxemburg (Jahresendzulage – sie richtet sich nach den Versicherungsjahren und beträgt bis zu 848 Euro); Portugal (14 Renten).
Soweit die Auflistung der Alt-SPDler.
Ich bin mal gespannt, ob und wann dieser Antrag des SPD-Unterbezirks Nord die Landesebene übersteht und beim nächsten SPD-Bundesparteitag landet.
Viele Arbeitnehmer von Firmen und Öffentlichem Dienst haben in den vergangenen Monaten neben Gehaltserhöhungen von 10 und mehr Prozent zusätzlich steuerfrei 3.000 Euro als Inflationsausgleich erhalten. Selbst pensionierte Beamte können sich über einen anteiligen Ausgleich freuen.
Die Bremer SeniorenVertretung (in der Hansestadt zuständig für 140.000 Seniorinnen und Senioren) hat sich dazu klar geäußert, in den Medien aber leider keinen Widerhall gefunden. Deshalb dokumentiere ich die Äußerungen der Senioren in einem Extra-Stück (lang, aber interessant!).
Leserbriefen verärgerter Rentner kann man immer wieder Frust, Verzweiflung und Hilflosigkeit entnehmen. Häufig wird die Frage gestellt: Wer organisiert endlich eine Demo gegen die Ungerechtigkeit?
Das wäre eigentlich die Stunde der offiziell vom Senat anerkannten – geduldeten – SeniorenVertretung. Deren Vorsitzender Michael Breidbach (früher kampferprobter Betriebsratschef der Stahlwerke) vertröstet bislang aber nur: „Bis Herbst werden wir was auf die Beine stellen.“
Breidbach möchte vielleicht mehr, aber in seinem Vorstand der SeniorenVertretung fehlt offenbar der notwendige Drive.
Ich vermute, dies liegt auch an der Konstruktion des Gebildes.
Die SeniorenVertetung nach aktueller Machart basiert auf einem Auswahlsystem, das extrem an die Parteien gebunden ist.
Pro 4.000 Bürger über 60 Jahre in ihrem Wahlbezirk dürfen Ortsamtsbeiräte jeweils ein Mitglied in die SeniorenVertretung der Stadt entsenden. Die Nominierung dieser auserwählten Frauen und Männer obliegt den im Beirat vertretenen Parteien. Die Zahl der von SPD, CDU oder LINKEN entsandten Vertreter wird auf Grundlage der jeweiligen Wahlergebnisse der Parteien bei der Direktwahl der Beiräte ermittelt.
Die Parteien entscheiden also, wer in der SeniorenVertretung sitzt. Außerdem entsenden Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Gewerkschaften und Sozialverbände Vertreter in die Gremien. Dieser große Kreis wählt einen Vorstand.
Die SeniorenVertretung unterhält aktuell drei Arbeitskreise für: „Gesundheit und Pflege“, für „Bauen, Wohnen, Verkehr und Umwelt“ sowie für Seniorenpolitik und Soziales“.
Die SeniorenVertretung hat laut einem vom Senat beschlossenen Statut die Aufgabe, „die Interessen älterer Bürger und Bürgerinnen…gegenüber dem Parlament, den Verwaltungen, Parteien, Verbänden, Vereinen zu vertreten.“
Der Gesetzentwurf der CDU sah konkrete Beteiligungsrechte für Senioren vor (Details finden Sie im Dokumentationsstück).
Das ging SPD, Grünen und LINKEN zuweit. Sie lehnten den Vorstoß der Oppositionspartei ab. Dafür beschlossen sie einen weniger konkreten Antrag.
Liebe Leserschaft, bitte lesen Sie auch das heutige zweite Blog-Stück „Dokumentation: SeniorenVertretung…“. Es enthält die Presseerklärung der SeniorenVertretung mit der Forderung nach einem Inflationsausgleich sowie den (von der Mehrheit abgelehnten) Gesetzentwurf der CDU und den (angenommenen) Antrag von SPD, Grünen und LINKEN.
Munter bleiben!
Herzlichst
Ihr Axel Schuller
*Transparenzhinweis: Ich bin mit demnächst 70 bekennender Rentner 🙂
Als leider schon erwerbsgemindert verrentet würde ich mit meinen 890 € nicht weit kommen, wenn ich alleine leben würde. An einer Demo würde ich glatt teilnehmen, wobei ich glaube, es wäre besser, wir Rentner würden einfach mal 2 bis 3 Tage streiken. Einfach mal nicht einkaufen, sowohl im Supermarkt als auch im Internet. Kein Besuch im Einkaufszentrum, um die Zeit zu vertreiben. Jetzt im Frühling einfach mal spazieren gehen.
Dazu gehört eine offene Diskussion über die Konsequenzen der demographischen Entwicklung- die Rente mit 63 verhindert ein höheres Rentenniveau. Eine aufgrund der steigenden Lebenserwartung kontinuierlich steigende Bezugsdauer ist so nicht finanzierbar. Jedenfalls nicht mit 1300 Jahresarbeitsstunden im Jahr und einer 4-Tage-Woche ( in der Schweiz arbeitet man 300 Stunden mehr).
Die Höhe der Durchschnittsrente (also von allen ehemals Erwerbstätigen, Halbtagsbeschäftigten, Minijobbern) mit der durchschnittlichen Beamtenpension zu vergleichen ist nicht seriös.
Wie so oft im Leben, ist manches anders als es erscheint. So auch hier bzgl. eines Landesseniorenmitwirkungsgesetzes. Nach Jahrzehnten solider ehrenamtlicher Tätigkeiten der Bremer Seniorenvertretung, basierend auf deren vom Senat akzeptierten Satzung, formulierte der vorherige Vorstand plötzlich einen Gesetzentwurf. Die interne Diskussion dauerte viele Monate, war ziemlich kontrovers,. In der entscheidenden Schlussabstimmung wurde mehrfach die Hand gehoben, bis das vom Vorstand gewünschte Ergebnis erzielt werden konnte.
Das war vor der letzten Bürgerschaftswahl. Dem danach gebildeten Vorstand war es wohl wichtig, den Gesetzentwurf sogleich allen Bremer Parteien zuzusenden. Das vergrätze die SPD-Fraktion, die zuvor noch etliche Details abstimmend erörtern wollte. Die CDU sah offenbar die Chance, sofort zu agieren, hat sie doch ansonsten nur wenige Parteigänger in der Seniorenvertretung präsent.
Wie auch immer, die interne Kontroverse bezog sich darauf, das die SV seit Jahrzehnten ungehindert und nach deren personellen Möglichkeiten erfolgreich tätig war. Ein Gesetz würde dies nicht ändern oder gar einen Aktivierungsschub verursachen, denn entscheidend sind die handelnden Personen, deren Ideen und der Umfang des persönlichen Engagement, so die anderen Meinungen.
Das alles nun zu vermischen mit den Forderungen nach einem Inflationsausgleich für Rentner analog den Pensionären, ist mal wieder eine gute Gelegenheit, die hiesigen Regierungsfraktionen zu kritisieren. Interessanter ist die eklatante Ungleichbehandlung der Ruheständler:innen. Die letzte Beamtenbesoldungsstufe ist m.W. Basis der Pension (71%), für alle anderen Werktätigen gilt der Durchschnitt (und nur 48 % davon) des gesamten Erwerbslebens. Bei den Beamten könnte fairerweise die Berechnungsbasis stufenweise reduziert werden, was zugleich die Staatshaushalte “nachhaltig” entlasten würde!!!
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mal einen Perspektivwechsel zu provozieren. Der schmeckt sicherlich nicht jedem und ist aus der Sicht eines mitteljungen Arbeitnehmers verfasst. Fachlich ganz bestimmt unsauber, aber ich möchte den Blick dennoch auf ein paar Umstände werfen.
Die meisten, mir bekannten Renter sind hochgebildet und beruflich relativ erfolgreich gewesen. Keiner hat finanzielle Sorgen, ganz im Gegenteil. Die meisten erreicht man kaum noch, weil derart viele Urlaube und Aktivitäten stattfinden. Ganz sicher ist mein Bild dadurch geprägt, aber diesen – vermutlich recht hohen – Teil Rentner gibt es eben.
Können wir uns die Renten in der bisherigen Form noch leisten?
Hätte man ein florierendes und funktionierendes Land, vermutlich schon. Was ist aber die derzeitige Situation? Wo man hin sieht, ist alles über die vergangenen 30 Jahre kaputt gespart – und teilweise privatisiert (also aus dem Staat heraus verkauft) – worden. Wo ist das ganze Geld gelandet? Offenbar weder in Zukunftsinvestitionen, noch in Bildung. Die medizinische Versorgung schwächelt, die Wirtschaft taumelt, die Pflege hängt am Tropf, die Justiz ist völlig überfordert, Bürokratie und Förderalismus lähmen uns massiv. Statt Digitalisierung wurde an Fax, Papier und überzogenem Datenschutz festgehalten. Das Internet war langezeit Neuland. Das größte Versagen findet sich in puncto Infrastruktur von innerer und äußerer Sicherheit.
Wenn das die ‚goldenen 30 Jahre waren‘, was erwartet uns dann zukünftig? Von der Klimakatastrophe habe ich hier noch gar nicht gesprochen…
Um die Eingangs-Frage also zu beantworten: Ich denke nicht. Das Rentensystem in dieser Form ist aus der Zeit gefallen und passt nicht mehr zur aktuellen demografischen- und gesellschaftlichen Gesamtsituation. Deutschland hat nicht mehr die Kraft und Position, wie es das über die letzten 60 Jahre hatte. Vielleicht sind also unsere Ansprüche, sowohl allgemein als Deutschland, aber auch an eine sozial-getragene Rente, einfach noch zu hoch.
Noch etwas, dass einigen wehtun wird: Jetzt über die Renten meckern ist nur bedingt zulässig. Das Drama hat sich seit Jahrzehnten abgezeichnet. Zumindest die allermeisten Arbeitnehmer hätten durch verschiedene Maßnahmen vorsorgen können. Bestimmt nicht jeder und in jeder Situation, aber viele schon.
Ich persönlich rechne jedenfalls nicht damit, noch eine (mit dem heutigen Stand vergleichbare) Rente zu erhalten und sorge entsprechend (soweit möglich) vor.
Einen versöhnenden Vorschlag möchte ich doch machen. Zweifellos sind 890 € zu wenig. Ich hielte es für zielführend, hier mehr mit den Höchstbeträgen bei Renten zu verrechnen. Eine Anhebung der Mindestrente also, bei gleichzeitiger Deckelung der Maximalrente. Denn mein Eindruck ist, dass Gutverdiener ihre Schäfchen in aller Regel langjährig ins Trockene gebracht haben. Aktien, Immobilien und Kreuzfahrten sind das Resultat. Ganz sicher auch verdientermaßen, aber hier bleibt sicher noch ein Teil übrig, um ihn an die Mindestrente umzuverteilen.